Housen Ali
(ein früheres Interview mit Housen ist in der Ausgabe 34 der integralen perspektiven erschienen)
Michael Habecker (MH): Housen, du bist aus Syrien gekommen und hast mir gerade erzählt, dass du jetzt seit drei Jahren und drei Tagen in Deutschland bist. Wie siehst du im Rückblick diese Zeit?
Housen Ali (HA): Manchmal war es schwierig, manchmal ging es leicht. Ich habe in dieser Zeit viele Leute kennengelernt und viel über Deutschland und die Menschen hier gelernt. Mir ist oft der Gedanke gekommen, wie es mir zu Hause oder woanders gehen würde – und vor dem Hintergrund ist hier alles super gelaufen. Meine Eltern und wir vier Geschwister, wir haben eine Unterkunft, sind als Flüchtlinge anerkannt und können arbeiten. Die Sprache zu lernen war schwierig, doch die Leute waren nett zu uns und haben geholfen, vor allem die Menschen vom „Kreis Migration“ in Bad Aibling. Es gab einen Willkommenkurs in der Sprache, und dann gibt es die Level B1, B2, C1, C2 – C2 beherrschen auch viele Deutsche nicht. Mit C1 kann man an die Uni und B2 reicht für eine Ausbildung und Arbeit. Der Willkommenskurs ging drei Monate, der B1 Kurs sechs Monate. Dann kam B2, das war ganz schwierig, aber das habe ich auch geschafft ...
MH: Gratuliere ...
HA: ... ich habe dann verschiedene Minijobs gemacht, in einem Restaurant gearbeitet und auch Praktika gemacht. Ich habe Computerkurse belegt, um mich da besser auszukennen, und die Leute haben geholfen, vor allem wenn ich das Bayerisch nicht verstanden habe.
Jetzt mache ich seit Januar hier in einer Firma ein Praktikum und kann nächste Woche mit einer Ausbildung zum Chemielaboranten anfangen. Das gefällt mir sehr, die Chemie, und auch das Lernen geht gut. Das praktische Arbeiten fällt mir leichter als die Berufsschule. Ich hoffe, dass ich nach der Ausbildung hier auch arbeiten kann.
MH: Du, deine Eltern und Geschwister, ihr seid als Familie hier angekommen. Wie hat sich euer Familienleben hier in Deutschland entwickelt?
HA: Familie bleibt immer Familie (Lachen). In Deutschland ist es normal, wenn ein Kind mit 18 oder 19 das Elternhaus verlässt. Wo ich herkomme hat man, auch wenn man studiert, immer noch ein Zimmer zu Hause, und manchmal, wenn Leute heiraten, wird das Haus des Vaters einfach erweitert. Die Familie bleibt zusammen, noch mehr in einem Dorf als in einer Stadt. Wir Kinder waren maximal eine Woche unterwegs, und dann sind wir zurückgekommen. Hier in Deutschland haben wir erst in der Turnhalle und dann im Container ein Jahr zusammen gewohnt, und dann hat die Familie zuerst eine Wohnung in Rosenheim bekommen und später am Chiemsee. Ich wohne in Bad Aibling und meine Schwester wohnt in München. Für meine Mutter ist es immer noch schwierig, wir können nicht mehr wie früher um einen Tisch herum sitzen, sie macht sich Sorgen um uns, ob wir auch alles gut haben. Doch wir können uns über das Smartphone austauschen und uns allen geht es gut, im Unterschied zu früher, wo mein Bruder und ich in der Türkei gearbeitet haben.
MH: Wie ist die aktuelle Situation in deiner Heimat Afrin, in Nordsyrien?
HA: Ich vermisse meine Heimat, und es ist sehr schwierig. Es gibt immer noch keinen Frieden, die unterschiedlichen Gruppen bekämpfen sich und die einfachen Menschen leiden darunter. Der Krieg ist auch zu uns gekommen, Panzer, Flugzeuge, Zerstörung, Plünderungen, und man weiß nicht wie lange es noch geht. So viele Interessengruppen, die dort ihren Einfluss ausüben, auch militärisch, und wer zurückkommt, muss damit rechnen ins Gefängnis zu kommen oder muss viel Geld zahlen. Es ist ganz schlimm, ich habe dort Onkel und Tanten.
MH: Auch in Deutschland hat sich einiges verändert in den letzten drei Jahren, durch die Migranten, es gibt eine starke nationale bis nationalistische Bewegung. Wie erlebst du das?
HA: Ein Sprichwort bei uns sagt, die Finger einer Hand sind nicht gleich, es gibt gute Menschen und weniger gute Menschen. Wer schlechte Erfahrungen mit Ausländern macht, mag dann auch keine Ausländer. Und es wird viel Stimmung über Facebook gemacht. Aber ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht. Es liegt auch an einem selbst als Flüchtling, ob man etwas macht und sich bemüht oder nicht. Wenn Menschen sich persönlich begegnen, kann die Angst weggehen. Das wünsche ich mir für die Zukunft.