Michael Habecker
Integrales Christentum von Marion Küstenmacher
Mit ihrem mittlerweile in der 8. Auflage und in mehreren Sprachen erschienenen Gott 9.0 haben Marion Küstenmacher, Tilmann Haberer und Werner Tiki Küstenmacher ein bahnbrechendes Buch geschrieben, welches den integralen Ansatz und die Entwicklungspsychologie mit dem Christentum (und anderen Religionen) zusammenbringt. Jetzt legt Marion Küstenmacher mit Integrales Christentum ein Buch vor, welches das bereits vorgestellte Material verbreitert, vertieft und durch praktische Übungen bereichert und erfahrbar macht – und dies ist ihr hervorragend gelungen.
In ihrer Einleitung „Aufmachen“ gibt die Autorin persönlich-biografische Einblicke in ihr Leben. Im Abschnitt „Aufbauen“ werden der Holon-Begriff und die horizontale und vertikale Schöpfungsdimensionen vorgestellt. „Aufklären“ erläutert die vier Quadranten als Perspektiven unseres In-der-Welt-Seins. Das Kapitel „Aufwachsen“ – es umfasst 170 Seiten – ist dem Thema Entwicklung gewidmet, mit ausführlichen und sehr anschaulichen Beschreibungen zu den einzelnen (Spiral Dynamics) Stufen – mit einem faszinierenden Abschnitt zu Sprache und Entwicklung, mit den Spannungen und „Rivalitäten“ der Stufen unter- bzw. gegeneinander, mit Erläuterungen zum „Dunklen“ (Bösen, Sündigen) der Stufen, mit der Liebe in den Stufen und mit Fragestellungen zur Arbeit mit den Stufen. Im Abschnitt „Aufbrechen“ geht es um Transformation: Wie kann Entwicklung durch die Stufen hindurch erfolgreich gelingen? Wo Entwicklung geschieht, kann auch etwas schiefgehen, und das ist das Thema von „Aufräumen“ als einer „Schattenarbeit“. In „Aufschließen“ erläutert die Autorin Möglichkeiten, die Bibel integral zu lesen und zu verstehen. Dabei wird deutlich, wie jede der Entwicklungsstufen sich im Bibeltext wiederfindet und gleichzeitig die Bibel auf ihre Weise liest und interpretiert. „Aufschwingen“ widmet sich dem Thema Beten, und erneut arbeitet die Autorin die enormen Unterschiede heraus, die durch eine Betrachtung eines „Betens durch die Stufen“ sichtbar werden. „Aufleuchten“ ist den „drei Gesichtern Gottes“ gewidmet, dem „Es“ als „staunender Ehrfurcht“, dem „Du“ als „hingebungsvoller Liebe“ und dem „Ich“ als „Einssein mit allem.“ „Aufwachen“ beschreibt die Zustände des Seins als eine konkret erlebbare Göttlichkeit, woran uns die Mystikerinnen und Mystiker seit Jahrtausenden erinnern – Gott oder das Göttliche lebt in dir und mir und überall. „Aufstreben“ differenziert Entwicklung in unterschiedliche Entwicklungslinien bzw. „Entfaltungsmöglichkeiten“. „Aufleben“ widmet sich dem Thema „Persönlichkeitsreifung“ unter Zuhilfenahme typologischer Unterscheidungen wie den Quadranten und Enneagrammtypen. Der Abschnitt „Aufholen“ schließlich gibt „integrale Impulse“ für die Kirche.
Was dieser kurze Abriss nicht vermitteln kann, ist das intensive Lesevergnügen, welches Integrales Christentum bei mir hervorruft. Hier wird in schwierigem Gelände ein gangbarer Weg offenbar und es wird, u. a. durch 135 Übungen, erfahrbar, was im Christentum (und in allen Religionen) an Möglichkeiten enthalten ist, wenn, ja wenn Absolutismen und Dogmen überwunden werden können und der Blick sich für eine Entwicklungsperspektive öffnet. Die Autorin schöpft mit vollem Einsatz aus ihrem Erfahrungsschatz der Psychologie, Philosophie, Theologie, Biologie, Soziologie und Philosophie und plädiert, mittels einer integralen Rahmenorientierung, für ein integrales Christentum als eine unverzichtbare Stimme und Bewegung in einer materialistisch-technokratisch orientierten Welt, in der Religion oft nur als fundamentalistisch oder dogmatisch wahrgenommen wird. Im Sinne eines „transzendiere und bewahre“ bietet Marion Küstenmacher eine Transformation des Christentums an, die das Erbe bewahrt und gleichzeitig ihrer Zeit weit voraus greift – „die Zukunft des Christentums gehört der Transformation.“
Integrales Christentum: Einübung in eine neue spirituelle Intelligenz
von Marion Küstenmacher, 448 Seiten, Gütersloher Verlagshaus.