Ich möchte im Hinblick auf eine kürzlich stattgefundene Debatte zum Thema Epistemologie und Ontologie einige Aussagen machen. Die Debatte dreht sich auch darum, welches von beiden wichtiger oder grundlegender ist. Bestimmt Epistemologie Ontologie, eine typische Position des Idealismus oder begründet Ontologie Epistemologie, als eine klassische Position des Realismus. Meine Version des integralen Ansatzes ist, dass beides gleichermaßen existiert und gleichermaßen wichtig ist. Keines von beiden ist grundlegender oder vorherrschender als das andere.

Was wir mittels des AQAL-Rahmens mit seinen acht Zonen erkennen ist, dass die typischerweise idealistischen oder subjektiven Ansätze davon ausgehen, wie die Welt, betrachtet von den Innen-Zonen her aussieht – als eine Sichtweise von innen1. Die mehr objektiven Ansätze des Realismus hingegen entstehen aus einer Betrachtungsweise der Welt aus den Außen-Zonen heraus – die Sichtweise von außen. Beide sind gleichermaßen real, gleichermaßen wichtig, gleichermaßen mit aufzunehmen und es ist keine gegenüber der jeweils anderen zu privilegieren. Doch in den meisten Debatten wird leider jeweils eines von beiden privilegiert.

Was wir dort draußen sehen, ist nicht nur ein Ergebnis einer gegebenen Ontologie dessen, was gesehen wird, sondern auch der Methodologie und der Epistemologie, die an dem Erkennen beteiligt sind. Dies alles ist mit dem endgültigen Ergebnis verknüpft. Das bedeutet nicht, dass die Charakteristik des erkannten Objektes vollständig durch das wahrnehmende Subjekt erschaffen wird, d.h. wir reden also nicht von einem epistemischem Trugschluss oder einem  subjektiven Idealismus. Es bedeutet lediglich, dass die Eigenschaften des erkannten Objektes zu einem Teil von den Mitteln des Erkennens abhängen.

Nehmen wir eine Stange aus Eisen und erhitzen das Eisen, dann können wir durch ein Betrachten nicht erkennen, dass das Eisen wärmer wird. Sehen zeigt uns keine Wärme, durch Fühlen jedoch erkennen wir Wärme. Das Fühlen – als eine veränderte Methodologie – bringt die Erwärmung zum Vorschein. Betrachten wir die Stange durch ein Infrarotmessgerät, dann sehen wir, dass sie in alle Richtungen abstrahlt. Diese Infrarotstrahlung kann nicht durch menschliches Sehen erkannt werden, doch durch eine Veränderung der Methodologie, in diesem Fall einem Infrarotmessgerät, wird die Wärmestrahlung offenbar.

Zu sagen, dass die Eisenstange einfach existiert, privilegiert eine oder mehrere Methodologien bzw. Arten von Epistemologie. Wir könnten sagen, dass die Eisenstange dasjenige ist, was durch die Gesamtsumme der Anwendung aller Untersuchungen zum Vorschein kommt und das wäre O. K., solange wir menschliche Epistemologie darin mit einbeziehen. Dabei sollte uns allerdings klar sein, dass sich das epistemologische Subjekt selbst durch etwa ein Dutzend reale Entwicklungsstufen hindurchentwickelt, und jede Stufe etwas anderes sieht im Hinblick auf die Eisenstange und ihre Umgebung.

Das erste, was uns die Entwicklungsstudien lehren ist, dass jede Entwicklungsstufe eine andere Welt sieht. Wir haben also eine Magenta-Eisenstange2, Naturgeister; eine Rot-Eisenstange, als ein Werkzeug zur Macht; eine Bernstein-Eisenstange, geschaffen von einem allmächtigen Schöpfer; eine Orange-Eisenstange, besteht aus Atomen, Molekülen und Kristallen; Eine grün-Eisenstange, die sich aus Quarks zusammensetzt; eine Türkis-Eisenstange, zusammengesetzt aus 11-dimensionalen Strings usw., ohne Ende. Jede Eisenstange, die wir kennen, setzt sich zusammen aus der Ontologie der Eisenstange auf dieser Ebene, der Methodologie um sie – auf dieser Ebene – zu entdecken, und einer Epistemologie, mittels der wir sie – auf dieser Ebene – erkennen. Alle drei sind untrennbare Aspekte der individuellen Ganzheit von dem, was die Eisenstange tatsächlich ist. Es gibt nicht die Eisenstange, da jede evolutionäre Stufe etwas Neues hervorbringt. Die Alternative besteht darin zu sagen: „Wir werden am Ende der Zeit die letztendlich wirkliche Eisenstange kennen, wenn alle bekannten Methodologien auf einer höchsten Stufe der Evolution epistemologischer Erkenntnis entdeckt und angewendet wurden – und die Gesamtsumme all dessen wäre die ontologisch reale Eisenstange.“

Doch wenn wir das sagen, dann haben wir nirgendwo und niemals irgendetwas, was der Wahrheit nahe käme, denn solange bis die letztendliche Wahrheit endlich am Ende der Evolution erreicht ist, ist alles, was wir wissen, durchdrungen von irgendeiner Art von Falschheit. Die wirklich reale Eisenstange wird ja erst am Ende der Evolution erkannt. Anstatt unsere Ontologie zu verankern, was praktisch alle Schulen des Realismus auf diese Weise versuchen, indem sie ontologisch eine gegebene Eisenstange postulieren, haben wir Ontologie zerstört. Wir haben jede Hoffnung darauf zerstört, irgendwann irgendeine Art von Wahrheit zu haben, weil Evolution niemals an ein Ende kommt. Und daher wird sich die wirklich wirklich wahre Eisenstange niemals zeigen.

Sondern: Jede konkrete Eisenstange als ein sich zusammensetzendes Phänomen aus einer bestimmten Epistemologie x und einer bestimmten Methodologie x zeigt sich als eine Ontologie auf einer bestimmten Ebene und ist eine wahre Version der Eisenstange auf dieser bestimmten Entwicklungsstufe. Wenn alle gegebenen Phänomene auf dieser Ebene voll berücksichtigt werden, dann erscheint die bestmögliche Sicht auf die Eisenstange, als die konkrete Wirklichkeit dieser spezifischen AQAL-Adresse.

Dies ist ähnlich, wenn auch nicht ganz identisch, zu der Weise, wie Hegel das ausgedrückt hat. Jede Ebene ist angemessen, jede höhere Ebene ist angemessener. Daher ist jede Ebene wahr, jede höhere Ebene ist wahrer. Wahrheit ist eine gleitende evolutionäre Skala, bei der jede Ebene Wahrheit trägt und jede höhere Ebene eine umfassendere Wahrheit trägt. Jede andere Option, vom Realismus zum Idealismus zum Materialismus zum Positivismus, privilegiert eine der Komponenten dieses Gesamtprozesses.

Wir haben von Zonen gesprochen und ein paar Beispiele zeigen uns jetzt Bedeutung und die Realität der Unterscheidung zwischen der Sicht von innen und der Sicht von außen von jeder der Zonen. Zwei der bedeutendsten Theoretiker der postmodernen Theorie sind Heidegger und Foucault. Beide anerkennen die Wirklichkeit des Intersubjektiven, des unteren linken Quadranten, doch sie tun das jeweils unterschiedlich und zwar von der Sicht von innen bzw. von der Sicht von außen hinsichtlich dieses Quadranten. Dreyfus und Rabinow haben auf hervorragende Weise Foucault‘s Ansatz zusammengefasst und ihn von Heideggers Ansatz unterschieden. Sie schreiben: „Foucault’s Beschreibung konkreter Strukturen, die er als Bedingungen von Existenz verstand, weist eine erstaunliche Ähnlichkeit auf gegenüber dem, was Heidegger in Sein und Zeit als ‚existenzielle Analytik‘ bezeichnete.“ Doch sie weisen auf einen wesentlichen Unterschied hin. Heidegger und Foucault untersuchten beide die faktischen Prinzipien, die den Raum strukturieren, der das Hervortreten von Objekten und Subjekten steuert – doch Heideggers Methode ist hermeneutisch bzw. von innen her, wohingegen Foucault‘s Methode archäologisch und von außen her beschreibt. Foucault weist explizit Phänomenologie wie auch Heidegger‘sche Hermeneutik zurück, wenn er der Entstehungsgeschichte die Außenbetrachtung einer archäologischen Beschreibung gegenüberstellt. Im Hinblick auf den unteren linken Quadranten konzentriert sich Heidegger auf Zone drei, das Innere oder die Innensicht des gemeinschaftlich Innerlichen, wohingegen sich Foucault auf Zone vier konzentriert, dass Äußere oder die Außensicht des gemeinschaftlich Innerlichen. Die Innenansicht und die Außenansicht.
Wir können das genau gleiche heute sehen, in den Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Schulen der Systemtheorie. Praktisch alle treffen zuerst eine Wertung, dass die letztendlich wirkliche Realität der untere rechte Quadrant ist – die Gesamtsumme, das Ganze, das Kollektive aller objektiven, miteinander verbundenen, dynamischen Es-heiten. Doch dann gibt es eine Aufteilung hinsichtlich dessen, welche Sichtweise innerhalb des unteren rechten Quadranten die wirklich reale Perspektive ist. Ist es die Innensicht – kognitiv, reaktiv, autopoietisch, relativ – oder ist es die Außensicht, objektiv, rational, universell, realistisch. Es gibt diejenigen, die sich für die Sicht von innen entscheiden oder ihm eine große Bedeutung geben und manchmal auch die ganze Bedeutung auf die kreative Kraft der inneren, kognitiven, subjektiven, hervorbringenden Fähigkeit des Organismus legen, der seine eigene Wirklichkeit und Umgebung erschafft oder mit erschafft. Wobei die anerkannte evolutionäre Forschung von [Name unverständlich] sagt, dass das, was jeder Organismus einschließlich des Menschen sieht, von seiner eigenen Entwicklungsgeschichte abhängt. Daher ist alles Wissen Spezies-spezifisch, das heißt innerlich subjektiv. Es gibt keine – Zitat – „objektiv einzelne und reale Sicht der Realität, die sich dort draußen befindet.“ Und weiter:
 
„Es ist bedeutungslos, von einer wahren Sicht der Welt zu sprechen. Um solch eine Sichtweise aufrechtzuerhalten, braucht es ein Minimum an Vorbedingungen, wie die, dass derjenige, der die Sichtweise äußert, zu keiner bestimmten Spezies gehört. Es ist absurd von einer wahren Sicht auf die Welt zu sprechen, weil keine Spezies mit Wahrheit behaupten kann, dass das, was sie sieht, die Welt selbst ist. Das, was die Sichtweise irgendeiner Spezies ausmacht, ist im Wesentlichen ein System von Kategorien.“

Es ist, mit anderen Worten, eine hervorbringende, ko-kreative Sicht von innen. Kenneth Bausch fasst dies in The Emerging Consensus in Social Systems Theory wie folgt zusammen: „Unsere Repräsentationen haben keine Wirklichkeit unabhängig von unserem Geist und unseren Sprachen. Sie repräsentieren nicht eine existierende Wirklichkeit, die sich uns präsentiert. In der Folge von Evolution und Ontogenie haben wir diese Repräsentationen erstellt, sie unseren Erfahrungen auferlegt, sie gerechtfertigt und verlassen uns auf sie. Mit all diesen Repräsentierungen jedoch und unseren Verfeinerungen wie Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung, Reflexion und Theorien über Reflexion haben wir zu keiner Zeit einen privilegierten Zugang zu Wissen erreicht. Wir bleiben an unsere Selbstbeobachtung gebunden.“
 
Aus dieser Perspektive heraus, der Zone 7, der Betrachtung des unteren rechten Quadranten von innen, gibt es keine einzelne, vorgegebene und wahre Außenansicht, weil es kein einzelnes, vorgegebenes Außen gibt. Was es gibt, sind Weisen und Wege, wie Organismen ihrer Außenumwelt entsprechend ihrer eigenen Systeme autopoietischer Kognition mit-erschaffen. Diese Perspektive ist die Art und Weise, wie Wirklichkeit sich in der Sicht von jemandem darstellt, der die Innenansicht des Kollektiven betont. D.h. jemand betrachtet Wirklichkeit durch Zone 7. Dies ist, vor allem vor dem Hintergrund des Einflusses autopoietischer Theorie, eine sehr verbreitete Sicht in den modernen und evolutionären Systemtheorien. Diese Sichtweise behauptet auf unterschiedliche Weisen, dass die Struktur des wissenden Subjektes grundlegend ist bei der Erschaffung und Mithervorbringung der Ontologie eines gegebenen Objektes. Und in der Tat, es gibt keine vorgegebene, einzelne Wirklichkeit, die einfach nur dort draußen ausgebreitet auf das Wahrgenommenwerden wartet. Was wir mit Wirklichkeit bezeichnen, ist in erster Linie vom wahrnehmenden Organismus und seiner Kultur mit-hervorgebracht und hat darüber hinaus keine substantielle und charakterisierende Existenz.
Kritiker dieser Sicht von innen kennzeichnen dies typischerweise als epistemischen Fehlschluss und das bezieht sich auf die Vorstellung, dass die Struktur des Subjektes eine wesentliche Rolle spielt bei der Bildung der Ontologie eines jeden Objektes, welches es kennt. Die Sichtweise, welche diese Kritik eines epistemischen Fehlschlusses formuliert, kommt meist von denjenigen, die den genau gegensätzlichen Standpunkt einnehmen und das ist die objektive Außenansicht des Realismus, auf die ich gleich zu sprechen komme. Für meine spezielle Version einer integralen Metatheorie sind beide Sichtweisen wahr, aber nur teilweise wahr. Das hängt hauptsächlich von der Sichtweise, Perspektive oder Zone ab, die jemand einnimmt.

Wir anerkennen eine reale Ontologie, doch das ist die Sichtweise, wie Wirklichkeit ausschließlich von der Außenansicht betrachtet aussieht. Die Innenansichten demgegenüber erkennen Wirklichkeit autopoietisch, mit-hervorbringend und mit-erschaffend. Beide sind real und die integrale Metatheorie lehnt es ab, sich nur für eine davon zu entscheiden und die andere zu verwerfen. Dies wäre ein perspektivischer Absolutismus. Weil sich die Systemtheorie etwa zu gleichen Teilen in Ansätze einer Außenperspektive und Ansätze einer Innenperspektive aufteilt, weist Kenneth Bausch in seinem Werk, welches einen Überblick über die aktuellen Systemtheorien gibt, darauf hin, dass etwa die Hälfte der Systemtheoretiker etwas präsentieren, was er verschiedentlich als eine „ko-kreative, hervorbringende und autopoietische Innensicht“ bezeichnet. Während hingegen die andere Hälfte eine „objektive, realistische, universelle“ Perspektive eines Realismus anwendet. Dies gibt uns die zwei Hauptansichten über die Natur von Systemen – eine hervorbringende Innensicht und eine Außensicht des Realismus.
Wir haben gerade diese beiden Ansichtsweisen unter Bezugnahme auf Heidegger und Foucault im unteren linken Quadranten gesehen. Jetzt finden wir sie im unteren rechten Quadranten wieder, als zwei Hauptrichtungen von Systemtheorie. Bausch weist darauf hin, dass es heute „… zwei große vereinigende Theorien von Systemtheorien gibt: a) Komplexität, Bifurkation und b) Autopoiese.“ Er bezeichnet diese auch als die Außensicht (objektiv, realistisch) und die Innensicht (hervorbringend, ko-kreativ, autopoietisch). Der erste Ansatz ist die allgemeine dynamische Systemtheorie, die ihrerseits aus einer großen Anzahl von Ansätzen besteht, wie allgemeine Systemtheorie, Kybernetik, dissipative Strukturen, Chaostheorien, Komplexitätstheorien usw. Wie wir sehen werden, wird die dynamische Systemtheorie oft auch als Außensicht bezeichnet, weil sie versucht, die Totalität, wie sie von außen gesehen wird, in ihrer Gesamtheit zu erfassen: Abstand nehmend, objektiv, systemisch, universell.
Der zweite große Hauptansatz beschreibt das System nicht von außen, durch einen Abstand nehmenden wissenschaftlichen Beobachter, sondern mittels der inneren Entscheidungen, die ein individueller Organismus im Rahmen seiner aktiven Teilnahme und Hervorbringung seiner Umgebung trifft. Versucht man beispielsweise, die Kognition eines Frosches zu verstehen, dann war das erste, was Maturana und Varela taten – und das war ein Schock für die biologische Gemeinschaft –, sie verabschiedeten sich von der traditionellen Systemtheorie. Weil, was immer der Frosch auch dachte, er dachte dabei nicht an Systemtheorie. Die Kognition des Frosches in seiner Welt besteht aus spezifischen kognitiven Wahlmöglichkeiten, die der Frosch in seiner Hervorbringung und Mit-Erschaffung seiner Umwelt trifft. Deshalb nannten sie ihr Projekt „biologische Phänomenologie“ und die „Sicht von innen“ – als dem hervorbringenden Paradigma. Dies ist die autopoietische Perspektive, die man auch als Innensicht oder kognitive Sicht bezeichnet. Übrigens sind alle diese Begriffe, „autopoietisch“, „kognitiv“, „innen“, „Systeme“, „rational“, „außen“ Begriffe, welche die Theoretiker selbst verwenden.

Worauf ich hinweisen möchte ist, dass sie sich dabei konkret auf unterschiedliche Zonen konzentrieren und zwar die Innen- gegenüber der Außenzone in jedem Quadranten. Die Systembetrachtungen im unteren rechten Quadranten konzentrieren sich dabei auf die Zone 7 bzw. die Zone 8, und sie haben beide recht im Hinblick auf ihre jeweilige Zone. Wir haben also eine objektive und realistische Außensicht und eine autopoietische, hervorbringende und kognitive Innensicht. Praktisch die gesamte heutige Systemtheorie teilt sich etwa zu gleichen Teilen zwischen diesen beiden Hauptsichtweisen auf.
Bei manchen Menschen führt die Verwendung der Worte „rational“ und „kognitiv“ in diesem Zusammenhang zur Verwirrungen, weil diese beiden Begriffe oft gleichbedeutend verwendet werden. Warum stehen sie sich hier diametral gegenüber? Die Theoretiker weisen selber darauf hin, dass „Kognition“ hier nicht spezifisch „rational“ oder „intellektuell“ meint, sondern in einer weiteren, umfassenderen Bedeutung verwendet wird. Und diese Bedeutung ist jeder Versuch eines jeden Organismus, seine Umgebung zu erkennen. Eine Amöbe beispielsweise reagiert auf Licht und verfügt daher über eine rudimentäre Kognition von Licht. Doch natürlich kann sie Licht nicht auf eine rationale Weise erfassen.

Wenn ich – in diesem Sinne – Biologie kognitiv betrachte, wie Maturana und Varela das getan haben, dann bemühe ich mich, von der Innensicht eines Organismus die Arten von Reaktionen, Verhalten und Kognitionen, die ein Organismus trifft in seiner Begegnung mit seiner Welt und der Hervorbringung seiner Welt, zu erklären. Dies wird auch als „biologische Phänomenologie“ bezeichnet, ein Begriff, den Maturana und Varela selbst verwendet haben, in ihren Versuchen die phänomenologische Welt eines Organismus zu beschreiben. Es ist der autopoietische Ansatz, für den Maturana und Varela Pionierarbeit geleistet haben. Und beide  selbst haben diesen Ansatz als die „Sicht von innen“ bezeichnet Sie schließen dabei jede Form einer dynamischen Systemtheorie aus, da diese Sichtweise kein biologischer Organismus einnimmt, mit Ausnahme des menschlich-wissenschaftlichen Organismus. Daher sprechen sie von einer autopoietischen, hervorbringenden und mit-erschaffenden Innensicht.

Diese Sichtweise beschuldigt die Schule des Realismus mit ihrer objektiven Außensicht eines ontischen Trugschlusses. Damit ist die Vorstellung gemeint, dass die Grundstruktur des Erkennungsprozesses entsteht durch bzw. hauptsächlich abhängig ist von dem Objekt, wie es durch das erkennende Subjekt reflektiert oder erkannt wird. Dieses Objekt ist danach wirklich real, gegeben, für sich, intransitiv und universell. Das mag auf unterschiedliche Weise interpretiert werden, doch es ist, allem zugrundeliegend, ein und dasselbe Objekt. Dder Versuch einer wahren Erkenntnisgewinnung liegt darin, diese gegebene Ontologie akkurat zu reflektieren bzw. zu repräsentieren.

Und genau das wird von praktisch allen Ansätzen einer hervorbringenden Innensicht geleugnet. Die Innensicht beschuldigt den objektiven Realismus auch eines „Mythos des Gegebenen“. Dieser Mythos beinhaltet eine einzige, intransitive, vorgegebene Welt, die darauf wartet, ein für alle Mal erkannt zu werden. Diese gegebene Welt kann falsch interpretiert werden, schlecht wahrgenommen werden, aufgedeckt oder verleugnet werden, doch es handelt sich immer um die gleiche vorgegebene Welt oder Ontologie. Die meisten Schulen des Realismus behaupten, mit dieser Ontologie auf die eine oder andere Weise in Verbindung zu stehen. „Rational“ ist lediglich eine Art oder Ebene von Kognition. In der Verwendung dieser Theoretiker bedeutet dies die rationale Aktivität der Theoretiker selbst, in ihrem Versuch, Phänomene wie komplexe Systeme in einer dynamischen, wechselseitigen Interaktion zu erklären. In diesem allgemeinen Systemansatz, als einer rationalen Außenansicht, wird nicht der Versuch gemacht, in das Innere irgendeines Organismus zu gelangen, sondern zurückzutreten und zu versuchen, das gesamte Bild mit dem Netz der Beziehungen gegenseitiger Interaktion zu sehen. Niemand, darauf weisen dieser Theoretiker hin, hat jemals das Netz des Lebens gesehen. Das Netz des Lebens ist eine rationale Vorstellung, welches alle unabhängigen Stränge miteinander verbindet, zu einem einzigen, großen Netz des Lebens – auch wenn, noch einmal, dieses Netz niemand jemals gesehen hat. Es handelt sich um eine rationale Annahme. Das ist der Grund, warum allgemeine Systemtheorien oft mit dem Begriff „rational“ bezeichnet werden. Sie postulieren diese großen interagierenden Wirklichkeiten, die gefühlt, gesehen oder auf andere Weise erkannt werden können. Und es gibt eine Menge rationale Gründe, davon auszugehen, dass es sie gibt.

Die autopoietischen Ansätze tun dies nicht. Die rationale Sichtweise sagt nicht, dass das Netz des Lebens lediglich eine rationale Einheit ist, sondern dass Wissenschaftler und andere Theoretiker versuchen, dieses Netz auf eine rationale Weise zu studieren. Diese rationale, 3te-Person-Sichtweise wird jedoch nur von Wissenschaftlern und Theoretikern eingenommen. Nur ein Wissenschaftler sieht das große Bild einer systemischen Sichtweise. Dies ist definitiv nicht die Kognition von, sagen wir, einem Frosch, einer Amöbe oder einem Hirsch. Daher die Bezeichnung als eine systemische, rationale, universelle, objektive, realistische Außenansicht.

Soweit zu diesen beiden Sichtweisen.

Die rationale Außenansicht beschuldigt die autopoietische Innenansicht des epistemischen Trugschlusses. Dies ist ein Trugschluss, bei dem substanzielle Aspekte eines erkannten Objektes durch die Struktur eines erkennenden Subjektes diesem Objekt auferlegt bzw. in dieses Objekt eingebracht werden, anstatt von einer grundlegenden und realen Ontologie auszugehen, welche, unabhängig davon, auf wie viele unterschiedliche Weisen diese interpretiert wird, die gleiche, einzige, unveränderliche, universelle und intransitive Wirklichkeit ist und bleibt.

Dies sind zwei ganz grundlegende, historisch vorherrschende Sichtweisen, Epistemologie und Ontologie, und wir sehen Beispiele von ihnen in allen vier Quadranten, als die Innenansicht und die Außenansicht der Zonen in jedem der Quadranten. Die integrale Aussage dazu ist, dass sie alle Recht haben und alle richtig sind, soweit sie adäquat ihre jeweilige Zone beschreiben. Dabei ist die Innenansicht die autopoietische subjektive Sichtweise mit den Zonen 5 und 7, während die objektive Außenansicht des Realismus sich auf Zonen bzw. Horizonte wie die Zonen 6 und 8 konzentriert.
Jede Sichtweise ist richtig, wenn sie sich auf ihren spezifischen Erkenntnisbereich konzentriert und richtig durchgeführt wird. Wenn dies der Fall ist, dann erhalten wir eine wahre und partielle Wirklichkeit. Und diese muss in einen integralen Gesamtansatz mit aufgenommen werden. Sichtweisen sind dann falsch oder unrichtig, wenn sie andere Sichtweisen kritisieren für das, was diese angeblich falsch machen, d. h. wenn beispielsweise eine Innenansicht alle Außenansichten eines ontischen Trugschlusses beschuldigt oder wenn eine Außenansicht alle Innenansichten eines epistemischen Trugschluss beschuldigt. Für die integrale Metatheorie liegt ein epistemischer Trugschluss nur bei einer Überbetonung der Innenansicht vor, was der Fall ist, wenn bestehende, objektive Aspekte der Außenansicht von Wirklichkeit verneint werden oder wenn gesagt wird, dass sie in Gänze von menschlicher Erkenntnis abhängen. Der epistemische Trugschluss ist, mit anderen Worten, die Vorstellung, dass es ausschließlich eine innere, hervorgebrachte Welt gibt und alle Objekte ausnahmslos Ergebnis von Hervorbringungen sind. Doch das ist nicht wahr. Jeder Quadrant hat, klar und eindeutig, ein Innen und ein Außen. Demgegenüber liegt – für die integrale Metatheorie – ein ontischer Trugschluss nur bei einer Überbetonung der Außenansicht vor, wenn die bedeutenden Hinzufügungen, Erschaffungen und Hervorbringungen der Strukturen des erkennenden Subjektes verneint werden und ihr hervorbringender Einfluss als epistemischer Trugschluss bezeichnet wird.
Man findet auch philosophische Schulen, die versuchen, den Ansatz des Realismus und den autopoietisch-hervorbringenden Ansatz zu integrieren, doch, soweit mir das bekannt ist, legt lediglich die integrale Metatheorie – mittels des AQAL-Rahmens und seinen acht Zonen – den Ursprung dieser beiden Ansätze offen.

Nimmt man Entwicklungsstudien ernst, gelangt man zu einer gleitenden Skala von Wahrheit, mit der Vorstellung, dass jede Ebene wahr und jede höhere Ebene wahrer ist. Wie schon gesagt, das erste, was man beim Studieren der Entwicklungsmodelle lernt ist, dass jede Entwicklungsebene eine andere Welt sieht. Und es gibt nur zwei Weisen, damit umzugehen. Die eine davon ist, dass man behauptet, dass es nach wie vor nur eine einzige vorgegebene Realität gibt und dass jede der Entwicklungsstufen diese Realität klar sieht. Doch wenn man das tut, dann gelangt man niemals zu einer wahren Wahrheit, da diese Wahrheit erst am Ende von Entwicklung und Evolution gesehen werden kann. Da jedoch Evolution niemals an ein Ende kommt, bedeutet dies, dass Wahrheit niemals gesehen werden kann. Demgegenüber steht die – wie ich sie nenne – gleitende Skala von Wahrheit. Die Entwicklungsstudien geben uns bereits eine Fülle von Evidenz dafür. Wir haben Evidenz dafür, dass jede Ebene mit Bewusstsein ausgestattet ist und jede höhere Ebene mit mehr Bewusstsein ausgestattet ist. Jede Ebene ist liebesfähig, jede höhere Ebene ist mehr liebesfähig. Jede Ebene hat eine Moral, jede höhere Ebene hat eine höhere Moral. Jede Ebene hat eine Identität, jede höhere Ebene hat eine umfassendere Identität, usw., praktisch ad infinitum. Jeder Ebene ist wahr, jede höhere Ebene ist wahrer.

Stellen wir uns vor, wie die Welt in fünfhundert Jahren auf unsere Wahrheiten zurückblicken wird. Zu den Zeiten der Stämme, mit deren typischer prä-operationaler Kognition und zu den mythisch-traditionellen Zeiten, mit ihrer konkret operationalen Kognition hatte kein Individuum ein Bewusstsein über oder eine Vorstellung von Atomen. Zu diesen Zeiten existierten keine Atome, jedenfalls nicht im Bewusstsein von irgendjemand. Mit dem Erscheinen von formal-operationaler Kognition und den dazugehörigen Methodologien wurden Atome entdeckt, und sie existierten von da an im Bewusstsein verschiedener Individuen. Mit dem Erscheinen von pluralistischer Kognition und den entsprechenden Methodologien wurden verschiedenartige Quarks entdeckt. Und mit der vereinigenden Kognition wurden die vereinigenden Zusammenhänge der Quarks entdeckt. Mit einer noch höheren Kognition wurden die Stringtheorie und die M-Theorie entwickelt. Jeder Ebene ist wahr, jede höhere Ebene ist wahrer. Und dieses „wahr“ ist so wahr wie etwas nur wahr sein kann. Es ist die einzige Möglichkeit, wie eine wirkliche und sinnvolle Bedeutung von Wahrheit vor dem Hintergrund einer alles durchdringenden Evolution existieren kann. Das Erkennen der integralen Einheit von innen-subjektiven und außen-objektiven Sichtweisen in allen vier Quadranten bzw. allen acht Zonen gibt uns eine gleitende Skala von Wahrheit. Jede Ebene ist wahr, jede höhere Ebene ist wahrer. Und jede Ebene kann Wahrheit erkennen, so wahr wie diese Wahrheit sein kann, so gut wie dies zu dieser Zeit möglich ist, mit den vorhandenen Techniken und Werkzeugen. Dies ist Wahrheit, soweit Wahrheit irgendeine konkrete Bedeutung haben soll.

Und die Entwicklung und das Wachstum gehen weiter und führen zu immer mehr Wahrheit, auf jeder höheren Ebene. Dies bedeutet keine Verneinung von Wahrheit, so wie diese sich auf den niederen Ebenen präsentiert. Wahrheit wird lediglich in einer Gesamtheit von Wirklichkeit entsprechend verortet, und dabei sind Epistemologie und Ontologie, innen und außen, zwei Aspekte der gleichen zugrunde liegenden, sich entfaltenden Ganzheit. Auf diese Weise, und nur auf diese Weise, können wir den epistemischen und den ontischen Trugschlüssen entkommen. Und nur auf diese Weise können diese zwei archetypischen Feinde – Idealismus versus Realismus, Spiritualismus versus Materialismus, subjektiv versus objektiv, empirisch versus rational, epistemisch versus ontisch, realistisch versus hervorbringend – vollständig anerkannt und vollständig integriert werden. Und schließlich weist dies auf eine grundlegende Maxime integraler Ansätze hin: wo immer man zwei sich diametral gegenüber stehenden Gegensätzen begegnet, so wie Realismus und Hervorbringung, macht man sich auf die Suche nach Möglichkeiten, beide miteinander zusammen zu bringen. Die Wahrheit liegt dabei immer in der zugrunde liegenden Ganzheit, ohne Ende, ohne Ende.

Es gibt noch eine Menge von Dingen, die in diesem Zusammenhang gesagt werden müssen, doch ich werde an dieser Stelle erst einmal ein Ende machen.
 
Viele haben gefragt, woran ich gerade arbeite und dazu möchte ich auch noch etwas sagen. Ich habe zur Zeit etwa sieben oder acht Bücher, die alle auf ihre Veröffentlichung warten. Das nächste Buch, welches erscheint, heißt Integrale Meditation, und es ist ein Versuch, Übungen vom Weg des Aufwachsens mit Übungen vom Weg des Aufwachens zu vereinigen. Dies ist wahrscheinlich das erste Mal, dass diese beiden Wege in systematischer Form zusammengebracht wurden.

Dann gibt es ein sehr umfangreiches und ausführliches Buch – etwa 900 Seiten – mit dem Titel „The Religion of Tomorrow“, als ein vollständig integraler Ansatz der spirituellen Theorie und Praxis und wie ich die Entfaltung der Religion sehe, wenn sie eine Zukunft haben soll. Das nächste Buch, das sich auch schon beim Verleger befindet, ist – endlich – das Nachfolgebuch zu Eros Kosmos Logos, als der Band 2 der Kosmos-Trilogie. Es trägt den Titel Sex Karma Kreativität. Dieses Buch wird auch einen Umfang von 900 Seiten haben. Der „Sex“ im Titel ist ein Scherz. Ich habe mir vorgenommen, dass das erste Wort in jedem Buch der Kosmos-Trilogie „Sex“ ist, weil: Sex verkauft sich. Oh je.

Zwei weitere Bücher beschäftigen sich mit Entwicklungsstudien allgemein, Overview und Superview. Jedes von ihnen umfasst 500 Seiten. Und schließlich gibt es noch eine weitere Trilogie, die ich als Arbeitstitel die Terrorismus-Trilogie nenne. Und sie behandelt genau dieses Thema, den Terrorismus in all seinen Formen. Diese drei Bücher widmen sich ausführlich den unteren Quadranten, mit denen ich mich in der Vergangenheit weniger beschäftigt habe, wenngleich Band 2 der Kosmos-Trilogie sich auch mit ihnen beschäftigt – dem Wir-Raum und dem Es-Raum im Plural.   

(aus: Online Journal Nr. 56)

Ken Wilber

(Quelle: integrallife.com, Being vs. Knowing: Ending the Debate Between Epistemology and Ontology, Integral Theory Conference Keynote Address.)

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