Michael Habecker

Ken Wilbers Werk kann in fünf Phasen unterteilt werden (diese Einteilung stammt von ihm selbst, vgl. Das Wahre, Schöne, Gute, 1999, und die Vorworte zu den Collected Works Band 1 und 2).

Phase 1

Phase 1 (1977-1979) charakterisiert Wilber als seine "romantisch-Jungianische" Phase. Wie viele romantische Philosophen und jungianischen Psychologen sieht er spirituelles Wachstum als eine (ganze oder teilweise) Rückkehr zu einem Zustand, der in der Vergangenheit bestanden hat, der aber im Verlauf des Aufwachsens bzw. der Kulturgeschichte verloren gegangen ist.

Bücher der Phase 1:

  • Das Spektrum des Bewusstseins
  • Wege zum Selbst

Phase 2

In Phase 2 (1980-1982) wendet sich Wilber der Entwicklungspsychologie zu, als einem umfassenderen Kontext zur Integration östlicher und westlicher Psychologie. Spirituelles Wachstum sieht er nun als etwas, das nach dem Erwachsenwerden kommt. Mit anderen Worten, wir haben Gott nicht verloren, sondern wir wachsen in ihn hinein, in einem schrittweisen Entwicklungsprozess. Hier formuliert er auch erstmals das Konzept der Prä/Trans-Verwechslung (pre/ trans fallacy - PTF).

Bücher der Phase 2:

  • Das Atman Projekt
  • Halbzeit der Evolution

Phase 3

In Phase 3 (1983-1987), verfeinert Wilber sein Entwicklungsmodell. Entwicklung wird nicht länger als ein homogener und eindimensionaler Prozess verstanden, in dem das Selbst eine Anzahl von Stadien linear durchläuft, sondern als ein komplexer Prozess, an der verschiedene Entwicklungslinien beteiligt sind (kognitiv, emotional, sozial, spirituell, etc.); das Selbst hat dabei (neben vielen anderen Aufgaben) als eine Art Navigator die Funktion, ein Gleichgewicht zwischen diesen Linien, die ganz unterschiedlich weit entwickelt sein können, zu wahren.

Bücher der Phase 3:

  • Der glaubende Mensch
  • Die drei Augen der Erkenntnis
  • Psychologie der Befreiung (Mitautor)
  • Meister, Gurus, Menschenfänger (Mitautor)
In den Jahren 1987-1995 veröffentlicht Wilber aus persönlichen Gründen sehr wenig. Seine Frau erkrankt in dieser Zeit, und stirbt 1989. Dieser Lebensabschnitt ist in Mut und Gnade (1992) aufgezeichnet.

Phase 4

Phase 4 (1995-2002), ist gekennzeichnet durch das Modell der 4 Quadranten, in dem Wilber seine bisherige Arbeit auf eine neuartige Weise zusammenfasst und über sie hinausgeht. Er stellt darin die innerlich/individuelle Entwicklung, die kulturelle Entwicklung, und ihre jeweils äusserlichen Ausprägungen in einen Gesamtzusammenhang, eben die 4 Quadranten. Mit diesem Modell der vier Quadranten (intentional, physiologisch, kulturell und sozioökonomisch, d.h. individuell-subjektiv, individuell-objektiv, kollektiv-subjektiv und kollektiv-objektiv) demonstriert er die wechselseitige Abhängigkeit dieser Dimensionen, skizziert ihre gemeinsame Entwicklung als "tetra-Evolution", und weist auf die Einseitigkeiten von Ansichten hin, die auf nur einem Quadranten basieren, und dabei die Gültigkeit der anderen Quadranten anzweifeln oder ignorieren.

Bücher der Phase 4:

  • Eros, Kosmos, Logos
  • Eine kurze Geschichte des Kosmos
  • Das Wahre, Schöne, Gute
  • Naturwissenschaft und Religion
  • Einfach Das
  • Integrale Psychologie

Mit Wilbers eigenen Worten:

In Das Wahre, Schöne, Gute... teilte ich meine Arbeit in vier Hauptperioden: Periode-1 war romantisch; Periode-2 war evolutionär und entwicklungsorientiert; Periode-3 unterteilt Entwicklung in Ebenen und Linien; und Periode-4 setzt Entwicklung in den Kontext der vier Quadranten (intentional, verhaltensmäßig, sozial und kulturell). Periode 2,3 und 4 bilden eine ziemlich kohärente Sequenz, wobei jeder Nachfolger seine(n) Vorgänger beinhaltet und auf ihm aufbaut. Doch Periode-1, eingetaucht in die romantische Philosophie (welche immer noch das vorherrschende Modell spiritueller Entfaltung ist), bildet eine große Grundlage mit - wie ich meine - einigen sehr guten, und einigen sehr konfusen Ideen.......dies [die Bücher Spektrum des Bewusstseins und Wege zum Selbst der Wilber-1 Phase] sind meine einzigen zwei Bücher - von sechzehn [Stand 1999] - die ich nicht mehr länger anderen empfehle... Bis heute bin ich ganz zufrieden mit jedem Buch was ich geschrieben habe und kann sie immer noch mit Freude empfehlen - außer diesen zwei.

Ken Wilber, aus der Einleitung zu den "Collected Works" Band 1.

Phase-1 war romantisch, gekennzeichnet durch die grundlegende Überzeugung, dass die Menschendämmerung - sowohl ontogenetisch auf das Kind bezogen als auch phylogenetisch auf die Frühmenschen bezogen - eine Art von paradiesischem Schlummerzustand im Garten Eden darstellt(e), in einem vereinigten Zustand oder Grund des Seins, von dem wir uns durch das Erwachsenenwerden entfremden, und zu welchem wir daher zurückkehren sollen: das ursprüngliche "Paradies" muss zu unserer Rettung in irgendeiner Form wiedererlangt werden. Die unüberwindlichen Schwierigkeiten bei dieser Ansicht... führten dazu, dass ich den reinen Romantizismus aufgab, für eine mehr evolutionäre und entwicklungsorientierte Sicht (Phase-2), welche ein Modell einer "wiedergefundenen Göttlichkeit" durch eine Ansicht eines "Wachstums zur Göttlichkeit" ersetzte. In Phase-3 verfeinerte ich die entwicklungsorientierte Sicht und fügte Ebenen und Linien der Entwicklung hinzu (bzw. Wellen und Ströme), und in Phase-4 setze ich Entwicklung dann in einem Kontext von vier Hauptbereichen (den vier Quadranten der intentionalen, verhaltensmäßigen, sozialen und kulturellen Entfaltung). Doch der Hauptwendepunkt in meiner intellektuellen Entwicklung lag in der Bewegung von Phase-1 zu Phase-2 - romantisch zu evolutionär - ...

Ken Wilber, aus der Einleitung zu den "Collected Works" Band 2.

Phase 5

Mit Beginn der Veröffentlichung der "excerpts" im Sommer 2002 schlägt Wilber ein neues Kapitel seines Schaffens auf, die Phase 5
In den von www.shambhala.com veröffentlichten Auszügen aus Band 2 der Kosmos Trilogie" erwähnt Wilber erstmalig Wilber-5 als eine neue Phase in seinem Schaffen. Er schreibt dazu in der Einführung zu den Auszügen: Einige, die das meiste des Entwurfsmaterials [zum Band 2] gelesen haben bezeichnen es mit "Wilber-5". Ich würde das nicht tun, sicher nicht zu diesem Zeitpunkt; doch es ist ein Hinweis auf eine bestimmte Richtung. Jedenfalls scheinen einige Leser darin übereinzustimmen, dass es einen bedeutenden Fortschritt seit EKL (Eros, Kosmos, Logos) darstellt. Ich bin ein bisschen zurückhaltend gegenüber derartigen Kommentaren, da sie nahe legen dass in all den Büchern nach EKL nichts wirklich Neues enthalten ist, wohingegen Konzepte mit entscheidender Bedeutung für die Anwendung dieser Arbeit (wie z.B. "Ebenen und Linien", "Zustände und Stufen", die "1-2-3 Bewusstseinsstudien", "die Wilber-Combs Matrix, usw.) in den Büchern nach EKL vorgestellt wurden (z.B. Ganzheitlich handeln; Das Wahre, Schöne, Gute; Integrale Psychologie). Dennoch muss ich zugeben dass ich verstehe was die Leser meinen, wenn sie sagen dass diese Bücher "nichts Neues" enthalten"
Integrale Post-Metaphysik - und, daraus logisch folgend - ein integral methodischer Pluralismus ist, wie ich glaube, aus vielerlei Gründen wichtig. Zuallererst ist festzustellen, dass kein System (spirituell oder anders), welches nicht mit den modernen Kant'schen und postmodernen Heidegger'schen Gedanken übereinstimmt, sich Hoffnungen machen kann intellektuell respektiert zu werden und zu überleben (ob man mit ihnen übereinstimmt oder nicht, sie müssen angesprochen werden) - und das bedeutet dass jede Spiritualität in gewisser Weise post-metaphysisch sein muss. Zweitens - so wie die Einstein'sche Physik, wenn sie auf Objekte angewandt wird die sich unterhalb der Lichtgeschwindigkeit bewegen, wieder mit der Newton'schen Physik zusammenfällt, kann auch eine Integrale Post-Metaphysik all die Wesensmerkmale der prämodernen und metaphysischen Systeme erzeugen, jedoch ohne ihren jetzt in Misskredit geratenen ontologischen Ballast. Dies ist nach meiner Überzeugung der zentrale Beitrag einer Integralen Post-Metaphysik - sie enthält selbst keine Metaphysik, doch sie kann Metaphysik als eine mögliche Konfiguration der AQAL Matrix generieren, unter den begrenzenden Konditionen prämoderner Kulturen. Das heißt die AQAL Matrix kollabiert zur alten Metaphysik (so wie das Einstein'sche zum Newton'schen wird, obgleich es selbst nicht-Newton ist). Ändert man andererseits die holonischen Konditionen der Matrix, indem man sie an die Parameter der postmodernen Welt anpasst, fällt die Metaphysik vollständig heraus, obgleich es nach wie vor ein vollständiges Bewusstseinsspektrum, Entwicklungswellen, Evolution und Involution, und einen Regenbogen der Bewusstheit gibt, welcher kontinuierlich vom Staub zur Göttlichkeit verläuft - jedoch ohne Bezugnahme auf irgendwelche vorgegebene, archetypische, oder unabhängig existierende ontologische Strukturen, Ebenen, Bereiche usw. Tatsächlich verschwindet die gesamte "Grosse Kette des Seins" aus der Wirklichkeit, doch ihre wesentlichen Merkmale können durch die Matrix erzeugt werden, wenn bestimmte Annahmen der mythischen Ära als Parameter aufgenommen werden.

Natürlich war irgendeine Art von "Grosser Kette des Seins" von Anbeginn an immer ein wesentlicher Bestandteil der spirituellen Traditionen, ob in der allgemeinen schamanischen Form als Existenz höherer und niederer Welten, der neoplatonischen Version von Ebenen der Wirklichkeit (z.B. der erstaunliche Plotin), der taoistischen Version von Bereichen des Seins (z.B. Lieh Tzu), der buddhistischen Version eines Spektrum des Bewusstseins (z.B. die 8 vijnanas), oder der sefirot des Kabbala - bis hin zu den heutigen neueren Weisheitstraditionen, von Aurobindo zu Adi Da zu Hameed Almaas. Sie alle postulieren ausnahmslos die Existenz von Ebenen oder Dimensionen von Wirklichkeit oder Bewusstheit, einschließlich höherer oder weiterer oder tieferer Dimensionen des Seins und Wissens - eine Art von Regenbogenexistenz, deren Wellen, Ebenen, oder Bänder eine unabhängige Wirklichkeit besitzen, zu welcher ausreichend evolvierte oder entwickelte Seelen Zugang haben können. Mit anderen Worten postulieren sie alle die Existenz metaphysischer Wirklichkeiten - und genau das wird durch die modernen und postmodernen Strömungen herausgefordert (und von Grund auf zurückgewiesen).

Was daher erforderlich ist, ist ein Weg der Darstellung der Wesensmerkmale eines Regenbogens der Existenz, aber ohne irgendwelche metaphysischen oder ontologischen Postulate. Mit anderen Worten, WENN es uns gelingt die wesentlichen Merkmale einer spirituellen Weltsicht ohne metaphysischen Ballast zu kreieren, dann erhalten wir eine spirituelle Weltsicht, welche in der modernen und postmodernen Welt überleben kann. Dies ist jedenfalls eines der zentralen Ziele einer Integralen Post-Metaphysik (und ihrer praktischen Anwendung, "integral methodischer Pluralismus" genannt)... Wenn wir bei diesem Unternehmen Erfolg haben, dann können alle diese spirituellen Weltsichten (vom Schamanismus zu Plotin zu Padmasambhava zu Aurobindo) reanimiert, und in einer umfassenderen, nicht-metaphysischen AQAL Matrix verwendet werden, welche den gleichen Regenbogen der Existenz darstellen kann, jedoch ohne das diskreditierte metaphysische Rüstzeug, und so kann man weiterhin ihre tiefgehenden Weisheiten verwenden, ohne sich den verheerenden Attacken der modernen und postmodernen Strömungen beugen zu müssen.

Veröffentlichungen der Phase 5 (Auswahl)

  • Exzerpte A, B, C, D und G des zweiten Teils der Kosmos-Trilogie
  • Integrale Spiritualität (2007)
  • The Integral Vision - A Very Short Introduction to the Revolutionary Integral Approach to Life, God, the Universe, and Everything  (2007)
  • 'The Religion of Tomorrow

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