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von Julian Baller

Menschen spielen und Menschen sterben. Aber was bringt Menschen dazu, ihr Leben im Spiel zu riskieren und warum ist dies eine dezidierte Frage der kulturwissenschaftlichen Ästhetik?

Im alltäglichen Gebrauch wird unter Ästhetik immer noch häufig die Wissenschaft und Lehre vom Schönen verstanden. Seinem Ursprung im Griechischen folgend, bedeutet Ästhetik jedoch die Lehre der Wahrnehmung als Ganzes. Damit erstreckt sich ihr Feld weit über das hinaus, was wir als schön und angenehm empfinden; es erhält vielmehr eine fundamentale Bedeutung für die Ausgestaltung unserer kulturellen Lebenswelt als Ganzes.

Keine Institution, kein sozialer Akt, kein politisches System und kein Unternehmen kommen ohne Ästhetik aus. Sie müssen uns auf bestimmte Art und Weise sinnlich affizieren, um sinnvoll in den jeweiligen kulturellen Bedeutungszusammenhang eingeordnet werden zu können. Mythen, Phantasmen, Narrative, Symbole, Rituale und Inszenierungen, Beobachtungs- und Identifizierungsmuster sind allesamt Modi der Aufteilung und Adressierung des Sinnlichen und somit Gegenstand einer kulturanalytischen Ästhetik.

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Im disziplinären Rahmen wird noch oft eine Unterscheidung zwischen philosophischer Ästhetik im Sinne von Theorien der Wahrnehmung und einer soziologischen Ästhetik von Kunst und Design unterschieden. Doch diese Scheingegensätze kollabieren spätestens seit dem postmodernen Subjektverständnis, indem die Gestaltung der eigenen Lebensform zum subjektiven Projekt avanciert. Wir alle, als privilegierte Bürger postmoderner Gesellschaften, sind zu Lebenskünstlern geworden. Wir können unsere Lebensformen und Identitäten so frei gestalten wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Kulturelle Codes sind spätestens für ‚Digital Natives‘ zu frei flottierender Ware geworden, deren Wert sich in den nur noch in Parametern der Aufmerksamkeitsökonomie ausdrückt und die sich durch geschickte Modifizierung und Kombinatorik beinahe unendlich wellenförmig fortschreiben lassen.

Lebenskunst und Sterbekunst bilden dabei zwei Seiten einer Medaille und gerade in den letzten Jahrzehnten rücken auch Formen des Sterbens zusehends in den Vordergrund. Erst von der Warte eines selbstgestalteten Todes betrachtet, erscheint das Leben als vollendetes Werkt. Eine maximale Deutungshoheit über die Ästhetik des Lebens sicher wir uns dann, wenn wir auch und insbesondere dessen Ende gestalten.

Spiele dagegen, sind unter einem anderen, aber nicht weniger wesentlichen Gesichtspunkt ein Gravitationspunkt ästhetischer Analytik. Als allen Kulturen bekanntes Phänomen, transzendieren Spiele die Leitdifferenz von Schein und Sein und eröffnen eine Zone der Ununterscheidbarkeit, die zwar sinnlich und sinnhaft erfahren, aber nicht in den Strukturen dualistischen Denkens begriffen werden kann. Es sind genau diese Zwischenräume und Grauzonen, in denen sich ästhetische Lebensformen konstituieren. Es ist die ihnen eingeschriebene Ambivalenz, die sie jenseits der Gegensätze von Kultur und Natur, Empirie und Hermeneutik, Schein und Sein oder Materie und Geist verortet.

So breit und vielfältig der philosophische und kulturtheoretische Diskurs sich in Thanatologie und Spieltheorie entfaltet hat, so wenig erarbeitet sind bisher die Wechselwirkungen zwischen Formen und Institutionen des Spiels und den Theorien, Techniken und Praktiken des Sterbens. Der folgende Artikel nimmt sich diesem bisher kaum bearbeiteten Feld an, mit dem Ziel, erste Ansatzpunkte für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Interferenzen von Spiel und Tod zu markieren. Die definitorische Breite der zentralen Begriffe von Tod, Spiel und Suizid verbietet dabei von vornherein das Vorhaben, eine geschlossene Theorie über den Zusammenhang von Spiel und Tod zu formulieren. Denn was bedeutet überhaupt tot sein und was ist sterben? Der britische Anthropologe Nigel Barley hat das Sterben in verschiedenen Kulturen weltweit erforscht und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis:

Zutreffend dürfte die Feststellung sein, dass Ansichten darüber, was Totsein heißt, stets Teil einer allgemeineren Vorstellung davon sind, was es überhaupt bedeutet, ein lebendes menschliches Wesen zu sein, und dass sich weltweit die Verhaltensformen und Überzeugungen, die im Zusammenhang mit Begräbnisritualen stehen, wie eine ausgedehnte Erörterung des Begriffs Person lesen lassen. (…) Der menschliche Körper ist nicht aus einem Guss, sondern stellt eine Schnittstelle mehrerer Beschreibungssysteme dar, so dass wir den erotischen, den medizinischen und den volkssprachlichen Körper haben, die alle über ihr eigenes Vokabular verfügen.

Alle diese Körper können sterben. Man kann sie sterben machen, ihre Existenz aufs Spiel setzen und zum Einsatz werden lassen. Als nicht weniger diversifiziert als die Vorstellungen und Rituale des Sterbens erweisen sich die verschiedenen Spiele und ihre Institutionen. Nicht umsonst verzichtet Ludwig Wittgenstein bei seiner Theoriebildung in den philosophischen Untersuchungen weitsichtig auf eine formal geschlossene Bestimmung des Spiels und bringt stattdessen den Begriff der Familienähnlichkeiten in Anschlag.

Vor diesem begrifflichen Hintergrund lassen sich unter der Prämisse einer immanenten, aber jeweils unterschiedlich gelagerten Interferenz von Spiel und Todesgefahr so unterschiedliche Spielertypen wie Extremsportler, Psychonauten, Schauspieler, Masochisten und Glücksspieler in den Blick nehmen. Denn im Kula Ring steht eine andere Form des Lebens auf dem Spiel als im SM Keller, der Arena oder auf dem Turnierplatz, und bei jedem dieser Spiele ist ein anderer Gewinn ausgeschrieben, welcher die Spieler zu ihrem gefährlichen Spiel motiviert.

Doch wie ist das Verhalten derjenigen zu beschreiben, die ihr Leben im Spiel riskieren? Eines scheint klar: Wer sein Leben aufs Spiel setzt, hat sich noch nicht zum Sterben entschieden. Daher ist es fraglich, in wie fern die Begriffe Suizid und suizidales Verhalten auf die Spieler lebensgefährlicher Spiele angewendet werden können. Gleichzeitig kann man sich dieser Art von Spielen nicht annähern, ohne auf den Diskurs um den Suizid als radikale Strategie der Selbstermächtigung der Individuen über ihr eigenes Sterben zu Grunde zu legen. Denn wer sein Leben auf Spiel setzt, muss sich zunächst als Eigentümer dieses Lebens verstehen. Nirgendwo wird dies deutlicher als am Beispiel des Russisch Roulette welches als paradigmatisches Todesspiel der Moderne angesehen werden.

Das Leben zum Einsatz im Spiel zu machen, kann dabei als praktische Weiterführung thanatologischer Traditionen gesehen werden. Von der stoischen Todesverachtung, über Michel de la Montaignes Ratschlag, das Sterben zu lernen, um in der Überwindung der Todesfurcht ein emanzipiertes Selbstverhältnis ins Werk zu setzten, bis hin zu Martin Heideggers emblematischer Formulierung des ‚Vorlaufens’ in den eigenen Tod. Doch warum wird gerade das Russisch Roulette zu einer ludischen Praxis, deren symbolische Bedeutung und popkulturelle Prominenz weit über die überschaubare Zahl realer Fälle hinausragt?  
Thomas Macho hat in seinem unlängst erschienenen Buch Das Leben nehmen Walter Benjamins These vom Suizid als Quintessenz der Moderne bis in die Gegenwart verlängert. Die Enttabuisierung, Entpathologisierung, und Entheroisierung des Suizids werden von Macho auf so verschiedenen Feldern wie Philosophie, Politik, Recht, Medizin, Kunst und Literatur detailliert nachverfolgt, wodurch sich die Erkenntnis verdichtet, dass wir in einer zunehmend suizidfaszinierten Zeit leben. Das Russisch Roulette kann als Metapher dieser Entwicklung verstanden werden, welche die Spannung zwischen dem unhintergehbaren Fakt der Sterblichkeit und der Kontingenz des Todeszeitpunkts aufrechterhält und gleichzeitig dem zunehmenden Verständnis des Todes als individuell gestaltbarem Projekt Rechnung trägt. Denn wer sein Leben aufs Spiel setzt, muss sich als Eigentümer dieses Lebens verstehen und handelt damit, genau wie der Suizident, im emanzipatorischen Sinne widerständig gegen Instanzen wie Familie, Gott und Staat, die einen Anspruch auf das Leben erheben.

Die erste Erwähnung findet das Russisch Roulette 1937 in der, im amerikanischen Wochenmagazin Collier’s erschienen Kurzgeschichte Russian Roulette des schweizer Autors Georges Surdez. Darin wird die Erfindung russischen Offizieren im ersten Weltkrieg zugeschrieben. Der Mythos eines solchen Spiels scheint jedoch älter als die Geschichte von Surdez und durch diese lediglich den emblematischen Namen erhalten zu haben. Bereits im 1840 erschienenen Roman Ein Held unserer Zeit von Michail Lermontow wird eine Szene beschrieben, in der eine Gruppe von Soldaten über Schicksal und Vorsehung diskutieren. Im Laufe dieser Diskussion greift einer der Soldaten eine Pistole von der Wand und richtet diese gegen sich selbst und dann gegen die Wand, wobei erst im zweiten Fall ein Schuss fällt. Lermontows Roman ist jedoch nicht der einzige Grund für die nominelle Verortung des Spiels nach Russland. Der Historiker Martin Melia hat in einer umfangreichen Studie die Bilder untersucht, die sich der Westen über vier Jahrhunderte von Russland gemacht hat und deren oftmals irrationale und mythologische Verfasstheit betont. Insbesondere das Narrativ der schwermütigen und leidenden russischen Seele mag hier zu tragen kommen, wie auch die radikalen Umbrüche der Oktoberrevolution. Seit 1917 sei ‚der sowjetisch-russische Hybrid zum primären Katalysator für beides, die Hoffnungen und Ängste des Westens und der gesamten Menschheit geworden‘, schreibt Melia. Und auch wenn das Rätsel, welches die ‚Rote Sphinx‘ dem westlichen Wanderer aufgibt, von diesem oft unter der Prämisse eines neuen Gesichts des ewigen Russlands aufgelöst wurde, so stellte dieses Rätsel, spätestens seit der gegenseitigen atomaren Aufrüstung auch ganz konkret die Frage nach dem nackten Überleben.

Unter diesen Vorzeichen, bot sich Sowiet-Russland als ideale Projektionsfläche für die scheinbar irrational-suizidale Überantwortung des eigenen Lebens an den blinden Spruch des Schicksals an.

Legt man Rogers Caillois prominente Einteilung der Spiele in die vier Kategorien Agon, Alea, Mimicry und Ilinx zu Grunde, so gehört das Russisch Roulette klar zur Kategorie der Alea. Obwohl der Antrieb der aleatorischen Spiele die reine Willkür des Zufalls ist und damit dem auf ein spezifisches Können angelegten Agon scheinbar diametral entgegengesetzt ist, finden sich bedeutende Gemeinsamkeiten. Beiden ist die Schöpfung einer möglichst vollkommenen Gleichheit unter den Spielern gemein, die den Menschen im wirklichen Leben versagt bleibt. Außer eben vor dem Tode. In dieser analogen Logik der Gleichheit lässt sich eine immanente Verbindung zwischen dem Prinzip der Alea und dem Tod aufzeigen, die Ausdruck in zahlreichen Mythen, Sagen und Sprichwörtern findet. Auch im Falle des Russisch Roulette deutet alles darauf hin, dass es sich um eine Praxis postfiktionalen Ursprungs handelt. Die fiktionalen Beispiele sind daher besonders erhellend in Bezug auf die Konstellationen, die das Phänomen zur Erscheinung bringen. Die unterschiedlich gelagerten Motivationen der Spieler und der im Falle des Überlebens ausgeschriebene Preis variieren dabei deutlich.

Im Film El Topo des chilenischen Regisseurs, Schauspielers und Autors Alejandro Jodorowsky aus dem Jahr 1970, wird Russisch Roulette als eine Art Gottesbeweis gespielt. In einer Stadt, die der Filmheld El Topo im Laufe der Handlung besucht, herrscht ein pervertierter christlicher Kult, in dessen Zentrum das Russisch Roulette steht. Der Priester der Stadt beschwört die ekstatische, zur Messe versammelte Menge, der Liebe Gottes zu vertrauen: „Wir müssen mit unserem Gott spielen. Der Tod ist unser Einsatz.“ („We have to play with our Lord. Death is our Bet“). Der Kult, bei dem das Überleben jedes Einzelnen als Wunder und Zeichen Gottes gefeiert wird, kommt jäh zu einem Ende, als die vom Priester präparierte Pistole durch eine tatsächlich geladene ausgetauscht wird und ein kleiner Junge durch den ausgelösten Schuss zu Tode kommt. Mit diesem Einbruch radikaler Kontingenz, vor der sich die Gemeinde durch ihr Vertrauen in Gott geschützt glaubte, findet der Kult sein Ende. An dieser Szene wird beispielhaft die Verbindung der aleatorischen Kontingenz mit der Theodizee-Frage sichtbar. Die theologische Kernfrage nach der Möglichkeit von Kontingenz ist aufs Engste mit dem Bereich der aleatorischen Spiele verbunden, was sich noch in Albert Einsteins berühmter Aussage „Gott würfelt nicht“ und der kritischen Erwiderung Niels Bohrs, man könne Gott nicht vorschreiben, was er zu tun habe, spiegelt.
Unter gänzlich anderen Bedingungen findet das Russisch Roulette in Géla Babluanis neo noire Thriller 13 Tzameti (2005) statt. Hier wird es als eine Art Duell zwischen einer Gruppe von Spielern gespielt, auf deren Überleben jeweils hohe Gelbeträge gesetzt werden. Obwohl die Hauptperson Sebastien das Duell bis zum Ende überlebt, wird dieser am Ende vom Bruder seines letzten getöteten Konkurrenten erschossen. 13 Tzameti zeichnet die finstere Verbindung zwischen (post)modernem Finanzkapitalismus und seinen kontingenten Elementen in seiner ganzen Brutalität eindringlich nach. Das suizidale Element als unheimliches, verdrängtes Moment eines auf immer höhere und absurdere Spekulation angelegten Systems hält durch das Russisch Roulette Wiedereinzug unter den Akteuren. Die metaphorische Dimension greift aber nicht nur auf systemischer Ebene, sondern verweist auch darauf, dass an Orten des Glücksspiels wie Wettbüros oder Kasinos Existenzen in großer Zahl verspielt werden. Zahlreiche Studien belegen eine direkte Verbindung zwischen Glücksspiel und Suizid. So weist beispielsweise die Glücksspiel-Metropole Las Vegas sowohl unter Anwohnern als auch unter Besuchern die höchste Suizidrate in den USA auf und ist viermal höher als im US Durchschnitt.

Eine Schlüsselszene aus Luc Bessons Leon der Profi (1994) stellt ebenfalls das Russisch Roulette in den Mittelpunkt. Der Auftragskiller Leon rettet eines Tages das junge Mädchen Mathilda, als deren Familie, die im Drogengeschäft tätig ist, ermordet wird. Mathilda möchte ihre Familie rächen und sich von Leon, in den sie obendrein verliebt ist, ausgebildet werden. Als Leon dies ablehnt, präpariert Mathilda mit den Worten „Liebe oder Tod“ einen Revolver zum Russisch Roulette. Sie nötigt Leon, sie im Falle ihres Überlebens als Schülerin und Gefährtin anzuerkennen. Im letzten Moment dreht Leon, der am Geräusch des eintastenden Zylinders bereits erkannt hat, dass die Pistole einen Schuss abgeben wird, Mathildas Hand, sodass der Schuss sie verfehlt. Mathilda deutet dies als Sieg und ist fortan Leons Gefährtin. Als Mutprobe, Initiationsritual und Ausweis von unerschrockener Todesverachtung, kommt dem Russisch Roulette eine weitere potenzielle Funktion zu. Malcom X berichtet beispielsweise in seiner Biographie, er habe sich des Russisch Roulettes bedient, um seine Mitstreiter von seinem Mut und seiner Unerschrockenheit zu überzeugen. Im Unterschied zu den agonistischen Mutproben und Initiationsriten geht es im Kontext der aleatorischen Spiele nicht darum, ein spezifisches Können in einem Wettbewerb zur Schau zu stellen, sondern vielmehr darum, eine generelle Unerschrockenheit zu demonstrieren, die weniger im speziellen als im Allgemeinen qualifiziert.

Auch Marina Abramovic berichtete in ihrer Autobiographie an mehreren Stellen vom Russisch Roulette. Die Szenen fügen sich in den bereits angedeuteten Bedeutungsrahmen zwischen Selbsttechnik, Mutprobe und Initiationsritus ein. In der deprimierenden und von ihrer zwanghaften und dominanten Mutter geprägten Sphäre ihres Elternhauses in Belgrad inszeniert die junge Marina eine Russisch Roulette Szene mit einem Schulfreund.

No one was at home. We did it in the library, sitting opposite each other at the table. I took my fathers revolver from his nightstand took all the bullets out but one, spun the chamber, and gave the gun to my friend. He presst he muzzle against his temple and pulled the trigger. We just heared a click. He passt he pistol to me. I put it to my temple and pulled the trigger. Again, we just heared click. Then i pointed the gun at the bookshelf and pulled the trigger. A huge explosion, and the bullet flew across the room and straight into the spine of Dostoevskys The Idiot. A minute later, I broke into cold swear and couldnt stop trembling. (Walk Trough Walls 21)

Der Kontext der Szene lässt sich vor den Entwürfen von Abramovics frühen Performances, für das Belgrader Youth Center in einen tieferen Zusammenhang einordnen. In der ersten Performance plante Abramovic die Kleider der Galeriebesucher zu waschen, bügeln und zu trocknen, sodass diese die Ausstellung ‚litereally and metaphorically clean’ verlassen konnten. Das Konzept einer zweiten Performance, beide wurden wegen bedenken der Veranstalter nicht realisiert, beschreibt sie wie folgt:

I would stand in front of an audience in my regular clothes, then gradually chance into the kind of clothes my mother always brought me: long skirt, heavy stokings, orthopedic shoes, ugly polkador blouse. The i would put a pistol with one bullet in the chamber to my head and pull the triger. ‚The performance has two possible endings’ my proposal said. ‚Andi f i live my life will habe a new beginning.’

Die metaphorische Reinigung die in der ersten Anordnung noch auf die Galeriebesucher zielt, wendet Abramovic im zweiten Entwurf in radikalisierter Form auf sich selbst. Um den Preis der selbstgewählten Todesnähe sucht sie einen Neuanfang jenseits der Identität der konformistischen Tochter die ihre Mutter für sie vorsieht.
Über die im Russisch Roulette inszenierte Aneignung des eigenen Todes reklamiert Sie die Eigentümerschaft an ihrer eigene Existenz für sich selbst gegen die Instanzen von.

Familie und Staat die in der Gestalt ihrer Mutter, der regimetreuen, ehemaligen Partisanin Darcia kondensieren. Auch und gerade wenn kein Schuss fällt, stirbt das Bild der konformistischen Tochter, sie wird von Abramovic, um den möglichen Preis ihres eigenen Lebens hingerichtet. Das von Abramovic inszenierte Russisch Roulette Spiel ist ein Modus subjektiver Bedeutungsstiftung. Die Wirkung eines solchen Spielerischen Suizidversuchs steht der eines absichtsvollen Suizids kontrastiv gegenüber dessen Semantische Ausdeutung den Hinterbliebenen vorbehalten bleibt wie Sartre in das Sein und das Nichts betont wenn er schreibt: ‚Wenn ich nämlich dem Tod entgehe, oder wenn ich ‚mich verfehle‘, werde ich dann nicht später meinen Selbstmord als Feigheit verurteilen? Kann das Ereignis mir nicht vor Augen führen, dass andere Lösungen möglich waren? Aber da diese Lösungen nichts anderes als meine eigenen Entwürfe sein können, können sie nur in Erscheinung treten, wenn ich lebe.“ Es ist eine lohnende Ergänzung dieses Gedankens, dessen Ende im Hinblick auf die Szenarien des Russisch Roulette folgendermaßen um zu formulieren: „Meine eigenen Entwürfe können nur in Erscheinung treten, wenn ich überlebe.“
Abramovics Performanceentwurf deutet so direkt ins Zentrum der dem Spiel eingeschrieben Ambivalenz zwischen schöpferischem Hervorbringen und Geschehenlassen, zwischen Handlung und Wiederfahrnis, in dem sich der Spieler bewegt. Im Wechselspiel der appolinischen und dyonysischen Kräfte wird die Souveränität des Ich gleichzeitig bestärkt und überschritten.

 

Über den Autor

Julian Baller studierte Kulturwissenschaft und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er arbeitete am Lehr- und Forschungsbereich für Kulturtheorie und kulturwissenschaftliche Ästhetik und am Lehr- und Forschungsbereich für Kulturgeschichte wo er seit 2016 promoviert. 2017 war er Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien und 2018/19 Visiting Scholar an der Columbia University NY. Seit 2018 ist er Managing Director bei Co-Creating Europe.

  

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