Logo Integrale PerspektivenProjekte haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und sind heute aus dem (betriebs-)wirtschaftlichen Kontext nicht mehr wegzudenken. Vor allem die Digitalisierung im Rahmen der vierten industriellen Revolution, Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 findet fast ausschließlich in interdisziplinärer Projektarbeit statt. Die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Vernetzung von Produktion und Logistik sowie der Service- und Dienstleistungen wird entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Dabei ist die intensive Beschäftigung mit den Vorgehensweisen, den Methoden, Techniken und Tools für ein wirksames Projektmanagement und den damit verbundenen Haltungen und Werten genauso wichtig wie die mit den Entwicklungen auf der technischen Ebene. Es macht Sinn, sich mit Projektmanagement in einem umfassenden, einem integralen Verständnis zu beschäftigen:

  • Mit Projekten wird Deutschlands Zukunft gestaltet. Der wirtschaftliche, unternehmerische und organisatorische Kontext ist stark von der Projektarbeit geprägt. Die Anzahl der durchgeführten Projekte in den Unternehmen und Organisationen ist in den letzten 20 Jahren exponentiell gestiegen und es gibt Unternehmen, die sich konzeptionell und prozessual als eine ausschließlich projektorientierte Organisation aufstellen. Zum anderen findet ein großer Teil der betriebswirtschaftlichen Wertschöpfung in Projekten statt, d.h. im Umkehrschluss: finanzielle Ressourcen werden anteilig immer weniger aus dem Routinebetrieb generiert. „Der Anteil der Projekttätigkeit an der Gesamtarbeitszeit lag 2013 deutschlandweit bei 34,7%. Bis 2019 lässt sich ein weiterer Anstieg auf über 40% prognostizieren.“ (Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland, GPM).
  • Projektmanagement ist Veränderungsmanagement. Der notwendige Wandel und die Transformation von Organisationen als Anpassung an sich rasch verändernde Umfeld- und Umweltbedingungen findet immer in Projekten statt. Diese „Veränderungs- und Transformations-Projekte“ sind zu einer dauerhaften Aufgabe des (Top-)Management geworden, die sich nicht oder nicht allein aus der Routineorganisation heraus gestalten lassen. Für die zu diesem Zweck definierten Projekte möchten wir zwei Vorbemerkungen machen: zum einen ist wirksame Projektarbeit für die Veränderung und Transformation immer Arbeit am System und zum anderen ist grundsätzlich jedes Projekt auch immer eine systemische Intervention. Allein aus diesem Grund macht es schon Sinn, sich das Projektmanagement und seine gedanklichen Grundlagen und Perspektiven im westlichen, anglo-amerikanisch geprägten Kulturkreis anzusehen.
  • Projektmanagement ist offen für Weiterentwicklung. Die Vorgehensweisen im Projektmanagement basieren auf der einen Seite auf dem Axiomen der westlichen Betriebswirtschaft und repräsentieren diese weitgehend, auf der anderen Seite hat das Projektmanagement durch die Formulierung und Einführung des „Agilen Manifest“ eine wesentliche Erweiterung erfahren, deren Bedeutung wir im weiteren noch herausarbeiten wollen. Die Veröffentlichung des Manifesto for Agile Software Development im Jahr 2001 gilt als ein Meilenstein für die Einführung agiler Werte und Prinzipien im Projektmanagement. Ergänzt durch bis dahin bereits praktizierte Methoden wie Scrum und Kanban und Ansätzen des Lean Management entstanden in den folgenden Jahren Vorgehensmodelle für agiles Projektmanagement (Timinger 2017). Agilität bedeutet dabei intelligente Schnelligkeit, Flexibilität, Dynamik und Kundenorientierung und wird auf Bewusstsein, auf eine Haltung, auf ein Mindset bezogen, das sich in Richtung Agilität, Offenheit und Varietät entwickeln soll.
Reflektion der westlichen Grundannahmen

Vorbemerkung: Eine Prämisse und eine Annahme basieren immer auf einem konkreten Standpunkt und einer bestimmten Perspektive bzw. einem Blickwinkel, den wir von diesem Punkt aus einnehmen. Zusammen mit unserer Haltung und Einstellung bestimmt sich unser jeweiliger Aufmerksamkeitsfokus, was wir wahrnehmen und erkennen, sowohl individuell als auch kollektiv. Wenn wir also eine Annahme reflektieren wollen, müssen wir uns unseres Standpunktes, der jeweiligen Perspektive und der Haltung bewusstwerden, auf der unsere Annahme beruht. Das erste Tor, durch das wir treten, ist immer wahrnehmen, erkennen und erfassen der Grundlagen, soll heißen ein Eintauchen in die Matrix, um das dahinter Stehende, die „Architektur des Unsichtbaren“ sicht- und wahrnehmbar zu machen.

Die westlichen Perspektiven haben eine lange Tradition: auf dem aristotelischen Axiom „wenn A ist, kann B nicht sein“ fußt der Subjekt-Objekt-Dualismus, von den Calvinisten geprägt ist die Priorisierung der linearen Zeit vor der zyklischen sowie die Monetarisierung der Zeit („Zeit ist Geld“); die weiteren wesentlichen Ideen sind, alles was messbar ist, zu messen und zu quantifizieren (Galilei), alles in immer kleinere Teile zu zerlegen (Descartes), immer Ursachen und Erklärungen für die Erscheinungen zu finden (Newton) und dem rationalen und logischen Verstand die Priorität zu geben (Kant). Die Idee einer sich nach vorne, immer in die Zukunft gerichteten Evolution als historischer Entwicklung mündet in das Primat der linear gerichteten, objektiven, rechenbaren Zeit; Zeitmessung und Zeiteinteilung auf der Basis der „wahren“ Zeit (Newton) wurden Grundlage der Lebensführung und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Während sich so die Naturwissenschaften etablierten und bei ihrem Siegeszug die Religion verdrängten und als Neoreligion ersetzten, wurden die Mechanisierung mit dem heiligen Symbol der Maschine, die Säkularisierung und die Rationalisierung mit ihrer Methode der Mathematik und dem universellen Maß der objektiven Zeit die Wirkmächte des kulturellen Hintergrunds westlicher Gesellschaften.

Die technikorientierte und rational-logische Entwicklung wurde und wird vor allem als horizontale Entfaltung in Raum und Zeit immer weiter vorangetrieben, „schneller, höher, weiter“ sind die Treiber eines als unbegrenzt gedachten Wachstums. Planbare und machbare Perfektion als Idealzustand im Dort und Später, die zentrale Steuerbarkeit von Objekten in einem dualistischen Weltbild, Individuen als sagenhafte Helden mit außergewöhnlichen Leistungen und stetiger Wettbewerb und Konkurrenz als Antrieb sollen Ergebnisse, Fortschritt und Wohlstand sicherstellen. Effizienz und Effektivität werden zum alleinigen Maßstab für die Leistung, die ebenso wie die Ressourcen und die Ergebnisse monetarisiert werden. Der calvinistische Gedanke des „Zeit ist Geld“ gibt dafür die Grundlage, und der Müßiggang wird zum größten Laster einer auf Ergebnisse, Zwecke und Mittel ausgerichteten Gesellschaft. Unser westliches Managementdenken basiert auf diesen Axiomen, die eine wissenschaftliche Betriebsführung „scientific management“ und die Idee eines in der Zukunft zu erreichenden Idealzustandes „one best way“ beschreiben. Die Zukunft wird damit zur beherrschenden Zeitdimension, und die „fiktionalen Erwartungen der Akteure“ (Beckert) die prägenden Kräfte des Marktes. Der denkende Verstand wird im „Ich denke, also bin ich“ zur primären Form des Wissenserwerbs und Erkenntnisgewinns.

Ja, und wer denkt, wer das Denken zur Hauptsache macht, der kann es darin zwar weit bringen, aber er hat doch eben den Boden mit dem Wasser vertauscht, und einmal wird er ersaufen.

Hesse/Steppenwolf

Die Revitalisierung der „drei Augen der Erkenntnis“ des Bonaventura maßgeblich durch Ken Wilber und die Weiterentwicklung bis hin zu einem umfassenden integralen Weltbild haben den fruchtbaren Boden bereitet, aus dem weitere Entwicklungen des Bewusstseins entstehen können. Das allperspektivische AQUAL (alle Quadranten, alle Linien) ist eine Theorie, eine Landkarte, ein Rahmenwerk und eine Matrix, die als Katalysator einen Beitrag leistet, eine ganzheitlichere und umfassendere Sicht zu ermöglichen und angesichts des Chaos und der Krisen, die das einseitige westliche Denken (mit) verursacht hat, wieder festen Boden unter den Füßen zu gewinnen.

Krise(n) unserer Zeit und deren Überwindung

Corona, Klima, Flüchtlinge, Brexit, Konflikte zwischen den Großmächten USA, China, Russland und Europa, damit verbundene wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Disruptionen: die oft zitierten VUKA-Bedingungen spiegeln sich in der prallen Realität wider! VUKA steht als Akronym für Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambivalenz. Von den persönlichen, den organisatorischen bis hin zu den gesellschaftlichen Krisen geht es um die „Krise unserer Zeit“ (Sorokin) als einer Krise des Bewusstseins. Es ist die Konditionierung des modernen Menschen, sich selbst den anderen und den Hedonismus des Gegenwärtigen dem Potential der Zukunftsfähigkeit vorzuziehen. Es bedarf nicht weniger als einer „grundlegenden Veränderung des menschlichen Lebensstils im Kontext einer Postwachstumsgesellschaft.“ (Simanowski, 11). Diese Krisen sind kein Naturereignis, sie sind nicht irgendwie entstanden, sie sind nicht von Gott gegeben und sie kommen nicht überraschend über Nacht. Diese Krisen sind die z.T. langfristigen Wirkungen der Ursachen, die wir als Menschen selbst gesetzt haben. Wir haben zu den grundlegenden Fragen, die unser Menschsein auf diesem Planeten Erde betreffen, Antworten gesucht und gefunden. Die grundlegenden Fragen sind immer die gleichen:

  • Wie gestalten wir gemeinschaftliches und kollektives Zusammenleben?
  • Wie gestalten und leben wir unsere Beziehungen?
  • Wie wollen wir unsere Kinder aufwachsen und sich entfalten lassen?
  • Wie bilden wir die Eltern und wie fördern wir sie?
  • Wie gehen wir mit unseren Eltern und den Alten um?
  • Wie wollen wir leben und was ist für uns lebenswert?
  • Wie wollen wir arbeiten oder ist mehr ein Spielen?
  • Wie können wir nachhaltig mit der Erde koexistieren?
  • Wie können wir lernen, die Erde als Organismus (Gaia) zu verstehen und zu erfahren?
  • Was ist in dieser Welt ein glückliches, gelingendes und lebenswertes Leben?

Weil es so viele verschiedene Antworten gibt, haben alle gefundenen Antworten auf diese Fragen stets Zerwürfnisse mit sich gebracht. Die jeweiligen Antworten sind die Grundlagen für individuelle und kollektive Perspektiven geworden, die uns unterscheiden, die unsere Überzeugungen geworden sind und die wir gegen andere Perspektiven und Überzeugungen um fast jeden Preis meinen verteidigen zu müssen. War es zu Beginn unserer Bewusstwerdung und unserer Bewusstheit die Philosophie, die dazu Antworten gegeben hat, ist es in der Zeit beginnend mit der Aufklärung die Wissenschaft geworden, die schließlich von der Wirtschaft in Form des Kapitalismus und des Neokapitalismus abgelöst wurde. Die wirtschaftlich geprägten Perspektiven der westlichen Hemisphäre sind zur ordnungs- und regelsetzenden Instanz für Gesellschaft und für Politik geworden, und das in einem globalen Maßstab. Und haben die Krisen und das Chaos (mit) verursacht, die wir aktuell erleben.

Perspektiven, Grundannahmen und damit verbundene Überzeugungen sind a priori nie richtig und falsch, sie sind richtig und sie sind einseitig. „Was sind die Möglichkeiten einer Welt, in der … sich [die Menschen] der Begrenztheit von Überzeugungen bewusst sind?“ (Harrison, 8) Verschiedene Perspektiven als gleich – gültig zu betrachten und sie symbiotisch zusammenzuführen, ist eines der Prinzipien des Dialogischen. So hat auch Jean Gebser in der „Großen Begegnung“ zwischen den Ideen und Herangehensweisen der westlichen und östlichen Hemisphäre eine Chance für die Integrierung der Menschheit gesehen und bereits 1968 vor den Folgen gewarnt, die eine reflexartige Übernahme der einseitigen anglo-amerikanischen Sichtweise für den Rest der Welt und der Menschheit bedeuten kann. … Und Joachim Fernau stellte 1977 die Frage: „Haben wir eine Zukunft? … Zukunft ist uns sicher. Gewinnt der Amerikanismus, so wird er die Menschheit in 150 Jahren zugrunde richten und die Erde wird als erstorbener Mars im Weltall weiterkreisen.“ (Fernau, 319). Es ist an der Zeit, dass sich unsere Denkprozesse grundlegend ändern, wir unsere Vernunft und nicht nur unseren denkenden Verstand gebrauchen und bereit sind, uns auch mit anderen Perspektiven befruchtend zu beschäftigen, „… eine bestimmte Verschiebung im Verhältnis zum Normalen (unseren Denkgewohnheiten) zu bewerkstelligen, indem man von einem Rahmen zum anderen geht (von Europa nach China und umgekehrt), was unsere Vorstellungen verschiebt und das Denken in Bewegung versetzt; und auch in dem Sinne verschieben, wie man eine Sperre beseitigt: um das wahrzunehmen, was unser Denken unaufhörlich geblockt hat und das wir eben deshalb nicht denken können.“ (Julien)

Reflektion der östlichen Grundannahmen

Die westlichen Perspektiven auf die Welt und das Leben sind nicht alternativlos. In der östlichen Hemisphäre wurde eine Weltsicht über viele Jahrhunderte entwickelt, die auf anderen Annahmen und Prämissen beruht.

Die östliche Perspektive basiert auf den Grundlagen des permanenten Wandels und der Veränderung (I Ging, Lao-tse), des abhängigen, bedingten Entstehens und der Verbundenheit, der harmonischen Einbindung des Menschen in die Gemeinschaft und den Kosmos (Kung-tse) und der Leerheit aller Erscheinungen (Nagarjuna). Diese Perspektive ist nondual, d.h. ohne Subjekt-/Objekt-Dualismus und in erster Linie ein Erfahrungsweg, der ein tiefes Verständnis des permanenten Werdens und Vergehens, der zyklischen Zeit beinhaltet.

Ausgehend vom Grundsatz: „Es gibt nichts Wichtigeres als die leidenschaftliche Hingabe in einem gegebenen Augenblick“ (Tsunetomo) wurde in dieser östlichen Perspektive ein Weg entwickelt, der die Gegenwart in den Mittelpunkt stellt. Da sich alle Erscheinungen, auch wir als Menschen im dauernden Wandel befinden, gibt es keine verlässlichen Gewissheiten. Die Gegenwart ist in diesem Verständnis nicht als eine Zeiteinheit zu verstehen, die Gegenwart ist immer gegenwärtig, zeitfrei und ewig. Aus diesem Verständnis heraus gibt es nur ein Handeln in der Gegenwart als einem permanenten Prozess und dem Ideal einer Perfektion im Hier und Jetzt. Die entscheidenden Kompetenzen sind die Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und konzentrierte Sammlung im Augenblick, die intuitive Wahrnehmung dessen, was ist und um bei den permanenten Veränderungen wirksam zu sein, entsprechend der Wahrnehmung zu handeln, d.h. hinderliche Entwicklungen zu mindern und förderliche Entwicklungen zu unterstützen. Es ist ein Verständnis von einem flexiblen, agilen und variablen Vorgehen und einem (Re-)Agieren auf das hin, was der gegenwärtige Augenblick erfordert. Um in diesem Augenblick aber nicht beliebig zu werden und zu sein, sind einige Voraussetzungen notwendig: zum einen eine Orientierung an handlungsleitenden Prinzipien, eine geschulte, intuitive Wahrnehmung als Grundlage für die Präsenz in der Gegenwart, ein perfektes Beherrschen der dann der Situation angemessenen Methoden, Techniken und Tools und ein Bewusstsein, das von der Non-Dualität, der Verbundenheit und dem abhängigen Entstehen aller Erscheinungen ausgeht. Es ist nicht ein Werden im Sein, sondern ein Werden „im“ Sein.

Einige der wichtigsten Anforderungen für den Umgang mit VUKA sind die Offenheit und der unvoreingenommene Perspektivenwechsel, der mindestens eine weitere Perspektive als gleich gültig im Sinne eines erweiterten Potentials betrachtet. Dabei steht nicht die Konkurrenz der Perspektiven im Vordergrund oder die eine gegen die andere zu tauschen, sondern die Ebenbürtigkeit im Sinne einer weiterführenden Symbiose und Ergänzung, getragen von der Idee der Wirksamkeit für die Gestaltung der Zukunft, getragen von einer umfassenden, gesamtheitlichen und letzten Endes integralen Sicht- und Herangehensweise.

Orientierungsrahmen für ein integrales Projektmanagement

Die Grundlagen des „klassischen“ Projektmanagements mit seinen Vorgehensweisen, Modellen, Methoden, Techniken und Tools sind aus den westlichen Perspektiven heraus entstanden und weiterentwickelt worden. Das ist weder richtig noch falsch, sondern soll hier vor allem auf seine gegenwärtige Wirksamkeit unter Einbeziehung der aktuellen Rahmenbedingungen hin betrachtet werden. Unter den Rahmenbedingungen von VUKA sind und werden Vorgehensweisen, die auf längerfristigen, stabilen und gefügten Konzepten beruhen, immer weniger wirksam, wenn sich die äußeren Bedingungen weiter dynamisieren und beschleunigen. Unter einem Konzept verstehen wir die Idee von einem zu erreichenden Idealzustand im Dort und Später (Ziel). Die zu seiner Realisierung notwendigen und damit verbundenen Kompetenzen sind im westlichen Denken die der optimalen und zentralen Steuerung der dafür einzusetzenden Mittel auf der Basis einer zeitlich linear-sequentiellen Strukturierung und Vorgehensweise (wie z.B. einem Projektstrukturplan). Die Erkenntnisse und Erfahrungen der Nachteile dieser Vorgehensweisen bei einer raschen Veränderung der Rahmenbedingungen haben folgerichtig zunächst in der IT-Entwicklung bis hin zum agilen Manifest geführt (siehe oben).

Wir wollen im Weiteren einen Orientierungsrahmen für ein integrales Projektmanagement aufzeigen. Diesen wollen wir nicht als Gegenentwurf im Sinne eines „entweder-oder“, sondern als Ergänzung und Erweiterung als „sowohl-als-auch“ oder „und“ verstehen. Es geht uns um fünf grundlegende Balancen für ein wirksames Integrales Projektmanagement.

(1) Die Balance von Dualitäts- UND Polaritätsorientierung

Mit die fundamentalste und mit am wenigsten hinterfragte Perspektive der westlichen Welt ist die der Dualität. Die Aufspaltung der Welt und des Lebens in ein „entweder-oder“ im Subjekt-/Objektdualismus ist die räumliche Perspektive, die sowohl unsere genialsten wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften begründet als auch großes, vor allem spirituelles Leiden verursacht hat. Es hat uns als Menschen beginnend mit der Aufklärung und dem Primat der Wissenschaften aus der vertikalen Orientierung der Verbundenheit mit allen Dingen („Paradies“) bis heute in ein uns gegenüberstehendes kaltes, seelenloses, sinnbefreites und von uns getrenntes Universum katapultiert, das als Objekt grundlegend nur aus toter Materie bestehend gedacht wird und in dem es über Technik, Zahlen, Daten und Fakten hinaus keine menschliche Qualität zu geben scheint. Die Einbeziehung der Zeit durch Albert Einsteins Relativitätstheorie hat uns die Vorstellung der Welt als Raum-Zeit-Kontinuum gebracht und unser Weltbild grundlegend verändert und erweitert und damit eine weitere Voraussetzung zur Entwicklung geschaffen, die jedoch nicht das Ende sein kann.

Denn dass nun unser Universum auf dem Konstruktionsprinzip toter Materie in der vierdimensionalen Raum-Zeit bestehen soll, wird sich als die „Scheibentheorie“ des 21. Jahrhunderts erweisen. So wie das mittelalterliche Weltbild der Erde als Scheibe mit einer um sie rotierenden Sonne mit weiteren Erkenntnissen obsolet wurde, wird sich auch unser Weltbild verändern (müssen). Die nächste Entwicklung des Bewusstseins wird dabei aber weniger eine Erweiterung als eine Intensivierung sein, verstanden als ein Erwachen und einem tieferen Verstehen der Welt und des Lebens. Diese Vertiefung in der Entwicklung kann nicht geschehen durch eine Extrapolation und Erweiterung des mental-rationalen perspektivischen Bewusstseins, sondern nur durch einen Quantensprung des Bewusstseins hinein in das Integrale und damit in eine andere, neue Qualität.

Die Anerkennung der Polarität, des „sowohl-als-auch“ als eine gleich gültige und erweiternde Perspektive ist der nächste Schritt: „Polarität verstanden als die lebendige Konstellation des Sich-Ergänzenden, des Sich-Entsprechenden, des Einander-Bedingenden“ (Gebser, 289). Yin und Yang der asiatischen Perspektive und das Welle-Teilchen Prinzip der Quantenphysik können dazu die Grundlagen bilden, auf denen sich das Bewusstsein in diese neue Qualität hinein vertiefen kann. Dualität als die Lehre von der Zweiteilung und dem Gegensätzlichen ohne eine Ganzheit und Polarität als die Lehre von den einander ergänzenden Polaritäten zu der Ganzheit finden sich im Integralen gleichberechtigt zusammen. Die Wissenschaft mit ihrer Beweiskraft und die Intuition mit ihrer Evidenzkraft schaffen ein neues Feld, eine neue „Bewusstseinsfrequenz“, die uns das aus der Perspektive des mental-rationalen Bewusstseins heraus Unverstehbare erschließt. Das noch Unverstandene ist das „Diaphane“, in dem Subjekt und Objekt unperspektivisch als Ganzheit durchscheinen. (Gebser)

(2) Die Balance von Konzept- UND Prozessorientierung

Das Primat der Zukunft und die komplette Ausrichtung einer wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Ordnung auf die zukünftigen Erwartungen hat zu einer Abwertung der Gegenwart und der Vergangenheit geführt. Die Orientierung an einem Idealzustand im Dort und Später wird zum Treiber des gegenwärtigen Handelns, das gesamte Denken wird auf eine imaginäre Zukunft gerichtet. Das hat fatale Konsequenzen: wenn die Zukunft „besser“, idealer ist als der jetzige gegenwärtige Zustand, dann folgt daraus Begehren. In der Gegenwart ist der Mangel und das Defizitäre, daraus folgt Ablehnung. Begehren und Ablehnung sind beides Anhaftungen und bedingen Leiden. Dann sind wir Menschen in der Zeitabhängigkeit permanent Mangelwesen, die (vergeblich) versuchen, der Gegenwart zu entfliehen und einen Fluchtpunkt am Horizont zu erreichen, und in dem vergeblichen Nichtgelingen stetig die Geschwindigkeit erhöhen: der Fluchtpunkt bleibt immer unerreichbar. Der rasende Stillstand ist das Symptom dieser Zeit und das Nichterkennen die Verblendung, die uns als „erschöpftes Selbst“ (Ehrenberg) (ver)zweifeln lässt.

Eine prozessorientierte Vorgehensweise hat die Perfektion im Hier und Jetzt, in der ewigen Gegenwart zum Ziel. Ewig deswegen, weil die Gegenwart immer gegenwärtig ist. Sie ist genauso immer gegenwärtig wie die Stille – ohne diese könnten wir den Klang nicht hören, und wie die Leere – ohne diese gäbe es keine Erscheinungen und keine Phänomene. Sie ist kein Objekt, sie ist nicht zu erreichen und nicht zu gewinnen und man kann nicht in sie fallen: die Gegenwart ist einfach immer präsent.

Keinem von beiden das Primat zu geben und auch hier ein „sowohl-als-auch“ oder „UND“ gelten zu lassen, führt zu neuen Herangehensweisen. Das agile Vorgehen mit der Idee einer Zielwolke oder eines Zielzustands und iterativen Schritten, sich diesem Zustand anzunähern, sind bereits Entwicklungen auf einem erfolgversprechenden Weg.

(3) Die Balance von Menschen- UND Zahlenorientierung

Grundlage unserer betriebswirtschaftlichen Ausrichtung kann in dem Satz formuliert werden: „Performance is performed by performers“. Dies gilt zunächst immer, gleichgültig ob ich die ägyptischen Pyramiden, den Kölner Dom, eine A380 oder eine Armbanduhr baue. Entscheidend ist dabei die Reihenfolge und die Priorisierung: die Performance, das Ergebnis, die zu erbringende Leistung hat heute die oberste Priorität. Ihr wird alles andere nachrangig untergeordnet. Heerscharen von Controllern ermitteln Kennzahlen, die wiederum der Steuerung und Lenkung der Unternehmen durch das Top-Management dienen, das Bruttosozialprodukt als nackte Zahl wird zum Gradmesser für gesellschaftliche Wohlfahrt und einer Ökonomie, die laut der bayerischen Verfassung dem Gemeinwohl zu dienen hat, kurz: den Zahlen, widergespiegelt in Aktienindizes, sind das goldene Kalb unserer kapitalistisch orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Der Prozess wird im Business Process Reengineering optimal aufbereitet und der eigentliche Träger der Leistung, ohne den nichts möglich wäre (man kann in der obigen Formel einfach nur so mal aus Spaß den Performer wegnehmen und schauen, was dann noch übrig bleibt), wird als austauschbarer Funktionsträger zum permanenten Mangelwesen, der nach der gegenwärtigen Zielerreichung bereits das nächste Ziel als Umsatz-, Ertrags- oder Kostenziel vor Augen hat.

Ein Mindshift kann nur erreicht werden, wenn die Formel umgestellt wird: „Performers perform performance“, nicht als theoretische Übung, sondern als praxisrelevante Grundlage allen wirtschaftlichen Handelns, in dem der Mensch tatsächlich im Mittelpunkt steht und der Ausgangspunkt jeder Herangehensweise wird. Wenn wir ausgehend vom Menschen mit seinem Wohl dann das Leben als Ganzes in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen, dann wird der einzelne Mensch zum „Life Performer“, der als Lebensarchitekt sein Leben als ein gelingendes und lebenswertes Leben in Wahlfreiheit und umfassender Verantwortlichkeit gestaltet: „Life Performer perform performance.“ Dann ist es gesellschaftlich auch naheliegend, sich noch mehr mit dem kollektiven Gemeinwohl zu befassen, das unter anderem in der bayerischen Verfassung von den Gründungsvätern 1949 verankert wurde: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“ (Art. 151 der Bayerischen Verfassung)

(4) Die Balance von Haltungs- UND Methodenorientierung

Ausgehend vom „Agilen Manifest“, den bereits vorhandenen Methoden wie z.B. Kanban haben wir in den letzten Jahren ein umfangreiches Methodeninventar entwickelt, um agiles (Projekt-)Management in der Praxis wirksam umzusetzen. Da arbeiten wir mit Sprints und Releases, mit Reviews und Retrospektiven, und wir arbeiten als Scrum Master und Product Owner und Mitgliedern eines Scrum Teams. Mit agilen Methoden und Rollen allein werden wir jedoch die radikalen Veränderung nicht erreichen, solange die grundsätzlichen Prämissen nicht in Frage gestellt und echte Anstrengungen unternommen werden, diese wirksam zu verändern.

Wir könnten uns darauf berufen, dass schon die Väter des Agilen der Überzeugung waren: „Agile Softwareentwicklung ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Methoden und Praktiken, die auf Werten und Prinzipien des Manifests Agiler Softwareentwicklung basieren.“ (Agile Alliance 2018). In den letzten 20 Jahren hat sich das Agile Prozess- und Methodenset von der Softwareindustrie emanzipiert und in vielen Branchen Anwendung gefunden. Schwerer tun sich Unternehmen damit, die agilen Haltungen und Prinzipien in der täglichen Praxis zur Wirklichkeit werden zu lassen.

Vier agile Haltungen bilden das Fundament: (1) Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge, (2) funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation, (3) Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung und schließlich (4) Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans. Obwohl sie die Haltungen auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen sie die Haltungen auf der jeweils linken Seite höher ein.“ Darauf basieren dann die 12 agilen Prinzipien. Erst die ins Verhalten gebrachten Haltungen („Haltung prägt Verhalten“), die gelebten Werte, in der Zusammenarbeit des Teams geben den Prozessen Kraft und verleihen den Rollen Lebendigkeit und damit Wirksamkeit. Die ausschließliche Optimierung von Prozessen schafft keinen qualitativen Sprung, weder in Effizienz noch in Effektivität.

Wir brauchen Gelegenheiten zur Reflexion in Projekten, zu denen mit Ruhe den Fragen der je eigenen Haltung Raum gegeben werden können und die auch im Team miteinander in den Dialog gebracht werden. Für die Zukunft brauchen wir Haltungen.
Ein Mindshift würde bedeuten, den eigenen Werten in der Arbeitswelt mehr Raum zu geben und sie in den Projektteams und mit den wichtigen Stakeholdern in den Dialog zu bringen. Wir brauchen Gelegenheiten zur Reflexion in Projekten, zu denen mit Ruhe den Fragen der je eigenen Haltung Raum gegeben werden können und die dann auch miteinander im Team in Dialog gebracht werden. Dadurch steigt sowohl die persönliche Zufriedenheit, wie auch die Identifikation mit den Anderen im Team und mit der gemeinsamen Aufgabe. Wir arbeiten effizienter, weil wir Reibungen durch unterschiedliche Auffassungen und Verständnisse schnell klären können, weil wir, wenn wir uns besser kennen, nicht nur miteinander, sondern auch füreinander arbeiten und gemeinsam reifen

(5) Die Balance von Werte- UND Handlungsorientierung

Werte in der Unternehmenswelt sind keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Werte hat es schon immer als Regulativ in Gemeinschaften gegeben, also auch in Unternehmen. Die Werte waren unterschiedlich ausgeprägt, manche waren gesellschaftlich konform, andere auf persönlichen Nutzen ausgerichtet, wieder andere waren sozial unverträglich oder gar moralisch verwerflich. Im Industriezeitalter galten Werte wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit oder Sicherheit. Dies hat sich verändert. Der Fortschritt in der Gesellschaft, aber auch die Digitalität, die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft sowie ökologische Herausforderungen wie der Klimawandel erfordern auch ein Update der Werte und eine Erweiterung der Stakeholdergruppen.

Werte sind emotional; Menschen oder Gruppen identifizieren sich mit ihnen - und verteidigen sie, wenn sie diese verletzt sehen. Viele Menschen nehmen persönliche Nachteile in Kauf, wenn sie nur gemäss ihrer Werte handeln können. Werte sind mit „Wünschenswertem“ verknüpft, mit moralischen Haltungen, tiefen persönlichen Überzeugungen und Verpflichtungen. Vertritt jemand Werte, verlangen wir, dass er nach ihnen lebt. Wir haben ein feines Gespür dafür, ob Werte „echt“ sind und gelebt werden - oder ob es sich um Selbstdarstellung oder bloße Werbung handelt. Wann immer das Handeln sich mit den Werten nicht deckt, mahnen wir Ehrlichkeit an.

Werte steuern also das Handeln von Menschen im Sinne einer emotional unterlegten Selbstverpflichtung. Durch Werte können Menschen motiviert werden; sie sind eine starke Triebfeder und vermögen die Leistungsfähigkeit von Individuen und Gruppen zu entfalten. Werte bilden daher einen inneren Kompass; sie helfen dem Menschen, sich selbst verbindlich zu verhalten. Auch in Unternehmen bewirken Werte dieses verbindliche, verträgliche Verhalten. Dort lenken Werte Menschen in eine gemeinsame Richtung, die mit dem Ziel der Organisation übereinstimmt und auch von den Menschen akzeptiert wird.

Immer stärker in Frage gestellt wird die reine Orientierung an der Wertsteigerung des Unternehmens im Sinne seiner Eigner. Angesichts der starken ökologischen und sozialen Ungleichgewichte in der Welt treten stattdessen zunehmend andere Forderung an Unternehmen auf: Sie sollen einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Im gewissen Sinne sollen Unternehmen „wert-voll“ für ihre Stakeholder werden.
Neben dem grundlegenden Unternehmenszweck erwarten Mitarbeiter, dass in ihrem Unternehmen nach bestimmten Werten kommuniziert, gearbeitet und geführt wird. Zu diesen Werten gehören beispielsweise Selbstentfaltung, Autonomie, Kooperation, Offenheit, Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit, Partizipation, Zugehörigkeit und Vereinbarkeit.

Diese modernen Werte passen nur bedingt zu Unternehmen, die klassisch, eher zentral und weisungsgebunden geführt werden. Es ist in diesen Unternehmen schwierig, Werte wie Selbstentfaltung, Partizipation oder Selbstwirksamkeit glaubhaft umzusetzen – wenn doch Anweisungen und zentrale Entscheidungen die Zusammenarbeit prägen.

Wollen Unternehmen moderne Werte konsequent leben, müssen sie dafür neue strukturelle Voraussetzungen schaffen und häufig grundlegend eingreifen: Hierarchien zugunsten dezentraler Teamstrukturen auflösen sowie weitgehend Weisungs- und Entscheidungsbefugnis verlagern. An die Stelle direkter Führung tritt die Gewährung von strukturell angelegten Freiräumen für Mitarbeiter. Strukturelle Steuerung ersetzt Fremdorganisation durch Selbstorganisation. Zudem muss sich die Ansprache der Mitarbeiter ändern. Führungskräfte führen nicht mehr durch direkte Weisungen; sie agieren als Enabler, Facilitator und Coach ihrer Mitarbeiter.

Wie kann es weitergehen? – Zukunftsperspektiven eines integralen Projektmanagement (iPM)

Communities of Practice. Wir verstehen unter Community of Practice (CoP) eine praxisbezogene Gemeinschaft von Personen, die ähnlichen Aufgaben gegenüberstehen und voneinander lernen wollen. Im Interesse an Lösungen agiert ein CoP weitgehend selbstorganisiert. Für die Weiterentwicklung der Konzepte ebenso wie der Methoden und Techniken brauchen wir solche iPM CoPs mit engagierten Projektmenschen, die es sich zur Aufgabe machen, das Integrale Projektmanagement weiter auszuformulieren und anderen praxisverständlich zu vermitteln. Dabei – das sei an dieser Stelle angemerkt – geht es nicht nur darum, einzelne Projekte nachhaltiger zu führen, sondern darüber hinaus auch darum, ganze Projektlandschaften im integralen Sinne zu designen und zu gestalten. Eine solche Community of Practice ist vor Monaten im Rahmen des Integralen Forums in Deutschland an den Start gegangen.

Proof of Concept in Projekt-Laboratorien und mit Leuchtturmprojekten. Noch stärker als bisher gilt es, Projekte und Projektlandschaften mit Elementen aus dem Integralen Projektmanagement durchzuführen und zu begleiten. Durch die Endlichkeit von Projekten können wir sie auch als Laboratorien organisationalen Lernen begreifen. Wir lernen durch die Reflektion der Ergebnisse von Projekt zu Projekt dazu, und erarbeiten uns schrittweise die notwendige Handlungskompetenz. Finden Projekte in Organisationen statt, so können Elemente, die in Projekten erfolgreich angewendet worden sind, auch als Blue Prints in die Gesamtorganisation übernommen werden.

Es steht an, die Bildung im Projektmanagement zu erneuern. Eine passende Ausbildung zum Integralen Projektmanagement mit einem Repertoire an neuen Inhalten, Formaten und Lernzielen. Die Vernetzung der bisherigen und mittlerweile als klassisch zu bezeichnenden fachlich-technischen Methoden im Projektmanagement gilt es weiterzuentwickeln und um Elemente des Coachings, der Kulturarbeit und der Persönlichkeitsentwicklung zu ergänzen. Insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung kann nicht deterministisch „gesteuert“ werden, sondern es bedarf wohl reichhaltiger und gleichzeitig ausbalancierter Angebote, welche die Lernenden dann annehmen können, wenn sie sich dazu bereit fühlen. Wir können als Lehrende hier nur Möglichkeiten und Umgebungen schaffen, die zum Gelingen der Entwicklung beitragen können. Gleichzeitig wissen wir, dass ausnahmslos jedes Projekt sowohl Arbeit im System wie auch am System bedeutet, und deswegen Projektarbeit untrennbar verbunden ist mit Veränderungs- und Transformationsarbeit. Eine Ausbildung in diesem Sinne existiert bereits (Ausbildung Integrales Projektmanagement, NewTrust).

Erweiterung der Qualifizierung im wissenschaftlichen/universitären Bereich und im Ausbildungs- und Weiterbildungsbereich. Wenn wir die Welt morgen anders gestalten wollen, dann müssen wir heute schon diejenigen dafür ausbilden, die dann die Verantwortung tragen und die Entscheidungen für eine noch entferntere Zukunft treffen. Die Ziele, Themen und Inhalte unserer aktuellen Ausbildungen zum Projektmanagement im schulischen und im universitären Bereich bedürfen einer noch weiteren Anpassung und Erweiterung. Die Reduktion auf die Vermittlung und das Lernen von Methoden, Techniken und Tools, auch wenn diese noch so agil sind, wird nicht zu einer dringend notwendigen Veränderung führen. Wir müssen über das hinausgehen, was mit dem Agilen Manifest begonnen hat und zu einer gesamthaften, zu einer integralen Sicht kommen. Und wir sollten auch die aktuellen Aus- und Weiterbildungen der Projektmanager erweitern. Grundlegend dafür sind die Kompetenzelemente der „Individual Competence Baseline“ ICB 4 als auch die „Organisational Competence Baseline OCP 1.0“. Unabhängig davon, dass sie auf der Plattform der westlichen Perspektive entstanden ist, sind bereits Kompetenzen enthalten, die als Grundlage für eine Entwicklung in Richtung einer erweitern Perspektive dienen können. Hier sind insbesondere zu nennen: Perspektivenwechsel, Offenheit, ganzheitliches Verständnis, Change und Transformation, die als einzelne richtungsweisende Elemente aufgezeigt werden. Für die Fundierung eines notwendigen Mindshift sind sie aber weder an prominenter Stelle noch in einer gleichwertigen Balance.

Zielführend wäre eine Ergänzung und Erweiterung der Konzeptkompetenz um Ansätze für eine noch stärkere Prozesskompetenz in dem hier dargestellten Verständnis. Die Einführung einer systemisch fundierten, ergebnisoffenen, prozessualen Methodik könnte dafür eine wirksame Vorgehensweise sein. Als einige Beispiele mögen hier dienen: die Aufnahme meditativer und kontemplativer Praktiken, nicht als theoretischer Inhalt, sondern als praktische Übung, ergänzt um dialogische und reflektierende Elemente, und auch systemische Aufstellungsarbeit, die in den letzten Jahren im Business deutlich an Bedeutung gewonnen hat und als Next Practice auch im Projektmanagement Anwendung finden sollte.

Um das zu erreichen und für eine Neuorientierung der Qualifizierungen Kompetenzen in einem integralen Sinn zu bündeln, könnte eine integrale Zusammenarbeit zwischen zwei Organisationen fruchtbar sein, die jeweils auf ihrem Betätigungsfeld eine ausgewiesene Expertise haben: die Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) und das Integrale Forum (IF). Hier sollten von allen maßgeblichen Beteiligten Anstrengungen ausgehen, in einer Kooperation deutliche Zeichen für eine dringend notwendige radikale Veränderung zu setzen.

Integrales Projektmanagement als eine Speerspitze für die Veränderung des wirtschaftlichen Zusammenarbeitens. Ein umfassend verstandenes Integrales Projektmanagement, das aus der systemischen Verbundenheit sich der Konsequenzen seiner Umsetzung bewusst ist, kann einen, wenn nicht den entscheidenden Beitrag zu einer gesamthaften Transformation leisten. Projekte finden in systemrelevanten Organisationen statt und betreffen nicht nur diese intern. Alle Projekte, die sich mit den aktuellen Themen wie Industrie 4.0, Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigen, haben umfassende kollektive und gesellschaftliche Wirkungen. Um nur ein Beispiel zu geben: wenn ich als Unternehmen meine Produktion und Logistik auf eine „smarte Fabrik“ umstelle und digitalisiere, dann ist das zunächst ein internes und technisch getriebenes Projekt. In der Konsequenz brauche ich viele Mitarbeiter nicht mehr, die bisher manuell in Montage, Gerätebau, Lager … gearbeitet haben. Diese werden – wenn auch sozialverträglich – freigesetzt. Da alle anderen Wettbewerber früher oder später ebenfalls digitalisieren, wird es für diese z.T. sehr gut qualifizierten Menschen schwer bis unmöglich, eine adäquate Anschlussarbeit zu finden. Die Folge ist eine stark ansteigende Arbeitslosigkeit, die gesellschaftlich Sprengkraft entwickelt und die mit den gelernten und gängigen Mechanismen des Arbeitsmarktes und der Arbeitsagenturen nicht mehr zu lösen ist. Wir brauchen umfassende, wir brauchen integrale Lösungen und hier kann in der Projektarbeit bereits in einer integralen Risikoanalyse wertvolle und zukunftsweisende Arbeit geleistet werden. Dann sind immer die gesamthaften Auswirkungen in einem Projekt mit zu bedenken und auch als Aufwendungen mit zu berechnen.

Ein integrales Projektmanagement kann helfen, die „Linie im Chaos“ (Polenski) zu finden, an dem sich das Neue orientieren kann und einen wirksamen Beitrag zur „Großen Begegnung“ zu gestalten: „Chaos im sichtbaren Teil der Welt lässt stets auf eine sich vorbereitende Ordnung in dem unsichtbaren oder noch nicht manifesten schließen“. (Gebser 260)

 

Autoren

ila Drilling ClemensClemens Drilling

Geschäftsführer der newTrust GmbH für werteorientierte Unternehmensführung und Integrales Projektmanagement. 2015-2019 Vorsitzender des Präsidialrats der GPM. Mitautor des Buchs „Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM4)“ der GPM, Kapitel „Kultur und Werte“ sowie „Persönliche Integrität“.

 

ila Linder Hofmann BerndBernd Linder-Hofmann

Vorstand der Integralen LebensArchitekten (ila) e.V., „sowohl-als-auch“: Autor, Beirat, Berater, Coach, Ehemann, Key-Note-Speaker, Lebensarchitekt, Lehrbeauftragter, Mensch, Moderator, Mönch, Netzwerker, Projektleiter, Personal-, Führungskräfte- und Organisationsentwickler, Trainer, Vater, Vorstand …

 

  

Literatur

Beckert, Jens: Imaginierte Zukunft – fiktionale Erwartungen und die Dynamik des Kapitalismus; Berlin 2018

Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst, Frankfurt am Main 2008

Fernau, Joachim: Halleluja – Die Geschichte der USA, München/Berlin 1977

Gebser, Jean: Vom spielenden Gelingen – Vorträge, Essays und Schriften, Zürich 2018

Harrison, Steven: Nichts tun – Am Ende der spirituellen Suche, Winterthur/CH 2001

I Ging: Ausgabe von Richard Wilhelm; I Ging – das Buch der Wandlungen, Köln 1984

Individual Competence Baseline für Projektmanagement, Version 4.0, deutsche Fassung, Nürnberg 2017

Jullien, François: Über die Wirksamkeit, Berlin 1999

Klausing, Helmut; Drilling, Clemens: „Purpose-Werte-Projektorientierte Unternehmensführung, Unternehmensführung jenseits der reinen Gewinnmaximierung.“, PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL, 01/2020.

Linder-Hofmann, Bernd: Gesellschaftliche Konstruktionen der Wirklichkeit und der Wahnsinn der Normalität – Plädoyer für eine integrale Perspektive – Essay als Beitrag zum Kongress für Integrale Führung Management Akademie Weimar 2018

Linder-Hofmann, Bernd: „Mindshift im Projekt-Management – aus einer östlichen, zen-buddhistischen Perspektive“, PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL, 01/2020.

Polenski, Hinnerk: Die Linie im Chaos – Zen, Ethik, Leadership: Ein Leitfaden für Verantwortungsträger, München 2010

Simanowski, Robert: Todesalgorithmen – Das Dilemma der künstlichen Intelligenz, Wien 2020

Sorokin, Pitirim A.: Die Krise unserer Zeit – Ihre Entstehung und Überwindung, München 1950

Timinger, Holger: Modernes Projektmanagement – mit traditionellem, agilem und hybridem Vorgehen zum Erfolg, Weinheim 2017

Tsunetomo; Yamamoto: Hagakure – der Weg des Samurai, München 2005

Wilber, Ken: Die drei Augen der Erkenntnis – auf dem Weg zu einem neuen Weltbild, München 1988

Wilber, Ken: The Religion of Tomorrow – A Vision for the Future oft he Great Traditions, Bolder/Colorado 2017

 

Weiterführende Informationen zur Masterclass Integrales Projektmanagement: www.integrales-projektmanagement.de

 

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