Logo Integrale PerspektivenSo wie die Menschen sind, so organisieren sie sich

So integral oder gespalten, so bewusst oder unbewusst wie die Menschen sind, so organisieren sie sich. So wie ihre Kultur ist, so ist ihre Politik. Integrale, bewusste Menschen organisieren sich in einer integralen, bewussten Wirtschaft und Gesellschaft. Nicht-integrale, unbewusste, gespaltene Menschen organisieren sich in einer nicht integralen, unbewussten und gespaltenen Wirtschaft und Gesellschaft. Um zu wissen, was eine integrale Wirtschaft ist, ist erforderlich zu wissen, was ein integraler, bewusster, ganzer Mensch ist. In der Sprache von Ken Wilber ist ein integraler Mensch jemand, bei dem das Ich und das Wir sowie das Innen und das Außen in Übereinstimmung sind. Um zu verstehen, wie das geht, ist notwendig, präzise zu wissen, was das Ich und das Wir sowie das Innen und das Außen sind − und wie sie zusammen funktionieren.

Die Instinkte organisieren

Am einfachsten und schnellsten ist das Ich zu verstehen. Deshalb beginnen wir damit. In der Sprache von Abraham Maslow ist der Mensch in seinem Ich ein unaufhörlich wollendes Tier. Sein Organisationsprinzip ist autokratisch. Jeder Mensch kämpft für sich, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Jeder will gewinnen. Jeder will besser sein als der andere. Jeder will Besitz und Konsum, Lust und Genuss, Sieg und Triumph, Bequemlichkeit und Spaß, Erfolg und Macht, Bewunderung, Anerkennung und Belohnung haben.

Die Gefühle organisieren

Das Wir ist komplizierter zu verstehen, weil es sich aus zwei unterschiedlichen Quellen speist. Die eine Quelle sind die Gefühle (Emotionen, Affekte). Die unaufhörlich wollenden Tiere organisieren sich in Familien, Sippen, Gruppen, Gemeinschaften, Organisationen (Vereine, Verbände, Unternehmen, Staaten). Sie organisieren sich, um das Privileg der Paarung und die Aufzucht des Nachwuchses zu regeln. Sie organisieren sich, um den Besitz und den Konsum der Ressourcen zu regeln, allen voran das Territorium, gefolgt von allen anderen Mitteln, wie Kapital (Geld als Tauschmittel), Boden (Territorium, Grundbesitz, Bodenschätze und Immobilien), Arbeitskräfte, Technologie, Infrastruktur, Know-how (Wissenschaft und Bildung, Kunst, Kreativität), Familie, Sicherheit (Rechtsordnung, Armee und Polizei) und Religion. Emotionen sind Mittel zur Selbstorganisation der Menschen in der Gruppe. Dazu gehören das Gefühl der Angst und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zur Gruppe: der Patriotismus, der Nationalismus, der Chauvinismus, der Nepotismus und weitere. Dazu gehören die Bedürfnisse nach Sicherheit, nach Dominanz und Unterwerfung. Dazu gehören das Pflichtgefühl, das Verantwortungsgefühl, die Zuverlässigkeit, die Geschäftigkeit, der Fleiß, der haushälterische Umgang mit den Ressourcen, der Ehr-Geiz, die Eitelkeit, das Misstrauen, die Missgunst, die Vorsorge, die Fürsorge und andere. Die Gefühle verstärken und korrigieren die Instinkte. Das Organisationsprinzip ist hierarchisch-autoritär. Jeder kämpft, tauscht und täuscht in der Gruppe, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. In Anlehnung an die Sprache von Maslow sind die Menschen nun unaufhörlich tauschende und täuschende, zänkische und sentimentale, schwärmerische, selbstgerechte und selbstmitleidige Säugetiere (Primaten) geworden. In der hierarchisch-autoritär organisierten Gruppe streiten sie um die Positionen, die entscheiden, welche Bedürfnisse von wem in welchem Ausmaß befriedigt werden.

Die rationalen Kalküle organisieren

Zusätzlich zu den Instinkten und Gefühlen sind Menschen fähig, rational zu denken. Rational bedeutet berechnend. Menschen sind als erkennende Subjekte in der Lage, Objekte von außen, aus der Distanz, unbeteiligt, zu betrachten. Durch wiederholte Beobachtung können sie Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erkennen und diese als Mittel-Ziel-Zusammenhänge manipulieren, optimieren und kontrollieren. In der Umgangssprache wird diese Fähigkeit als Vernunft (Kognition) bezeichnet. Sie erkennt nur jene Teil-Zusammenhänge, die sie von außen sehen, messen und experimentell beliebig oft wiederholen kann. Sie erkennt nur quantitativ. Sie erkennt nicht die Qualität der Ziele. Sie kann nicht beurteilen, ob sie richtig oder falsch sind. Die Vernunft ist eine Söldnerin. Sie lässt sich die Ziele vorgeben und variiert, kalkuliert und optimiert darauf die Mittel mechanisch-technisch. Die Ziele setzen unbewusst und automatisch die Instinkte und die Gefühle, das Ich und das von den Gefühlen organisierte Wir, der Auftraggeber und die Gruppe. Das Organisationsprinzip ist technokratisch. Alle Objekte, alle Menschen und Ressourcen, sind austauchbare Mittel zum Ziel.

Der Markt organisiert

Die Instinkte, die Gefühle und die rationale Vernunft sind nach außen gerichtet. Sie organisieren die Außenwelt nach ihren (Teil-)Wünschen (Bedürfnissen, Motiven, Zielen). Sie organisieren sie im Rahmen dessen, was sie sehen, in die Hände nehmen (hören, riechen, schmecken, berühren, empfinden), fühlen und messen, manipulieren und kontrollieren können. Sie interagieren und organisieren sich über den Markt, zu dem die Demokratie gehört. Der Markt beruht auf der Maxime der Selbstbereicherung, auf der unaufhörlichen und unersättlichen Aneignung von Besitz und Konsum auf der Grundlage des Besitzes der Ressourcen, auf dem Ich und dem von den Gefühlen und dem rationalen Kalkül organisierten Wir, auf der Orientierung nach außen, auf den unbewusst und automatisch agierenden Wünschen und Funktionen des Instinktes, der Gefühle und der Vernunft. Auf dem Markt und in der Demokratie kann vordergründig jeder kaufen und verkaufen, tun und lassen, was er will. In der Markt-Demokratie bereichern sich die Besitzer der Ressourcen an den Nicht-Besitzern, die Mehr-Besitzenden an den Weniger-Besitzenden, die Unabhängigen an den Abhängigen, die Mächtigen an den Machtlosen. In der Markt-Gesellschaft herrschen die Instinkte, die Gefühle und das rationale Kalkül in deren Diensten. Sie zerstören das Leben, sich selbst, unbewusst und automatisch.

Die Seele organisiert

Die Informationen der Seele sind unsichtbar. Sie sind geistig, gedacht. Sie sind die zweite Quelle, die das Wir speist. Ihre Informationen sind nicht in der Außenwelt, sondern in der Innenwelt der Psyche, des Lebens, zu finden. Sie sind nicht quantitativ, sondern qualitativ. Sie sind nicht partikulär, für den einzelnen Menschen subjektiv und relativ relevant oder nicht relevant. Sie sind nicht zufällig und willkürlich. Sie sind nicht wählbar und austauschbar. Sie sind universell. Sie sind absolut und ewig. Sie gelten für alle Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten. Sie sind schon gedacht. Sie sind von den Menschen nicht neu zu erfinden und zu konstruieren. Sie sind nicht zu meinen, zu glauben, zu erhoffen, zu wollen und durch das aktive und selbstermächtigte Handeln der Instinkte, der Gefühle und des rationalen Kalküls zu gewinnen. Sie sind allein zu empfangen. Dafür ist die Seele mit den Informationen der Liebe, der Schönheit, der Wahrheit und des Leidens, der Sanftheit, der Bescheidenheit, der Berührtheit und der Bewusstheit ausgestattet. Ihre Wünsche und Funktionen sind das Gegenteil, der Gegensatz, zu jenen der Instinkte, Gefühle und Kalküle. Sie allein sind in der Lage, diese zu verbinden und so zu verwandeln, dass sie in Übereinstimmung mit dem ganzen System der Psyche, des Lebens, sind. Sie allein sind in der Lage, die Gegensätze aufzulösen.

Das Organisationsprinzip der Seele ist nicht aktiv, sondern rezeptiv. Es ist nicht autokratisch und/oder hierarchisch-autoritär und/oder technokratisch, sondern bewusst. Seine Sichtweise ist nicht partikulär, sondern universell. Es meint, glaubt, hofft, bangt, will, muss und handelt nicht selbstermächtigt, sondern es erfüllt. Es betrachtet die ungleichen Menschen nicht als ungleichwertig, sondern als gleichwertig. Es versucht nicht, sich an anderen zu bereichern. Es dient dem Leben.

Die Auflösung der Gegensätze in sich selbst

Nur unter Führung der Seele ist es möglich, alle Teile der Psyche, des Lebens, zum ganzen System wieder richtig zusammenzusetzen – re-lego. Das erfordert von jedem Menschen, dass er die Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, umverteilt, von den Wünschen und Funktionen der Instinkte, der Gefühle und des rationalen Kalküls auf jene seiner Seele, von der Außenwelt auf die Innenwelt, von der Aktion auf die Rezeption.

Das bedeutet für die Integrale Wirtschaft:

  1. Die Menschen leben und arbeiten nicht, um sich zu bereichern, sondern um ihr Leben zu erkennen und zu erfüllen.
  2. Die Menschen leben und arbeiten nicht, um mehr zu besitzen und zu konsumieren, als für das Erkennen und Erfüllen ihres Lebens notwendig ist.
  3. Die unterschiedlichen Menschen sehen und behandeln sich gleichwertig.
  4. Sie lösen den Markt als Interaktions- und Organisationssystem in der Gesellschaft kontinuierlich auf.
  5. Sie belohnen die unterschiedlichen Menschen für die unterschiedliche Arbeit gleichwertig.
  6. Sie lösen die Privilegien, den Besitz und den Konsum, die sich die Intelligenzsysteme im Aktionsmodus aneignen, im Rahmen der gewonnen Bewusstheit und Organisierbarkeit kontinuierlich auf.

Das bedeutet für die Integrale Politik:

  1. Sie beginnen mit der Auflösung der Gegensätze in sich selbst.
  2. Sie verteilen Ihre Ressourcen zuerst bei sich selbst um: von der Außenwelt auf die Innenwelt, von der Aktion auf die Rezeption, von der Unbewusstheit auf die Bewusstheit.
  3. Sie wenden sich aktiv nach außen in dem Masse, wie es Ihnen gelingt, bewusst, integral, ganz, zu sein.
  4. Sie setzen Ihre Ressourcen ein, um anderen Menschen zu helfen, bewusst, integral, ganz, heil, gesund, zu werden und zu sein.
  5. Sie beginnen dort, wo Sie sind, bei Ihrer Ausgangslage. Sie beginnen dort, wo Ihre Ressourcen, Talente und Fähigkeiten, sind: in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und Bildung, in der Familie, Beziehung, Gruppe, in der Religion. Sie und alle Lebensbereiche sind nicht zu trennen, zu fragmentieren, zu spalten. In allen Bereichen der Gesellschaft tun Sie dasselbe: Sie lehren und lernen Bewusstheit. Sie finden zurück zur Einheit der Sprache, zur Einheit der Theorie. Sie ist analytisch-hermeneutische Psycho-Logie: psychē, Leben, und logos, System. Sie beobachtet und erkennt das Leben von innen und von außen und bringt es in Übereinstimmung.
  6. Sie verwandeln den Markt und die Demokratie im Rahmen der gewonnenen Bewusstheit und Organisierbarkeit in eine integrale Organisation. Es ist eine Organisation der Bewusstheit. Darin führen die Informationen der Seele: die Liebe, die Schönheit, die Wahrheit und das Leiden an der Zerstörung; die Sanftheit, die Bescheidenheit, die Berührtheit und die Bewusstheit. Darin führen bewusste Menschen Unbewusste zur Bewusstheit.

Das ist der entscheidende Wandel: 

Sie führen sich und andere von der Selbstbereicherung zur Erfüllung des Lebens.

Theiler JuergÜber den Autor

Jürg Theiler, Dr. rer. pol., ist Ökonom und Tiefenpsychologe. Er wirkte in führenden internationalen Unternehmen als Manager und Berater sowie als Hochschuldozent in den Bereichen Leadership und Organisationsentwicklung. Seit 2000 ist er als Berater und Begleiter auf der Grundlage der von ihm entwickelten Analytisch-hermeneutischen Psychologie in Zürich tätig. Er ist Autor von zahlreichen Publikationen.

 

 

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