Was bedeuten Integrale Unternehmensentwicklung und New Work und in Zeiten von COVID-19 und Klimanotstand? Dieser zweiteilige Artikel beschreibt, warum Verantwortung der Schlüssel für den bevorstehenden Paradigmenwechsel in der Unternehmensführung ist. Sieben Wirkfaktoren veranschaulichen anhand des Tourismusunternehmens die kulturellen Aspekte. Anhand der Soziokratie werden unterstützende methodische Aspekte vorgestellt.
Teil 1 des Artikels beschäftigt sich mit dem generellen Wandel von unternehmerischer Verantwortung aufgrund von COVID-19 und Klimakrise sowie dem erforderlichen Wandel im Bewusstsein von Führungskräften.
Teil 2 (erscheint in die November-Ausgabe 2020 “Integrale Wirtschaftsmodelle”) widmet sich dem Wandel im Unternehmen und der Integration von globaler Verantwortung in den organisationalen Kontext.
Führung in Zeiten von New Work, COVID-19 und Klimakrise
Vor COVID-19 hat die Fridays4Future-Bewegung so richtig Aufwind bekommen. In nahezu allen größeren Städten der Welt haben Jugendliche ihre Stimmen erhoben und in Kooperation mit Wissenschafter:innen aufgezeigt, dass wir mit der derzeitigen Art und Weise zu konsumieren und zu wirtschaften unserem Planeten keine (gute) Zukunft bevorsteht und dass es so nicht weitergehen kann. Die Message kam an, doch es reichte noch nicht zum Handeln. Trotz zorniger Jugendlicher schien sich in der Politik und in der Wirtschaft wenig oder nur vereinzelt etwas zu bewegen. Dann kam die Corona-Pandemie und wir alle stellten nach einer Schrecksekunde um auf Krisenbewältigung. Die eigene Gesundheit löste in der Brisanz die Gesundheit des Planeten ab.
COVID-19 hat uns gezeigt, dass wir fähig sind, radikale Veränderungen der Arbeitswelt extrem schnell und auch brauchbar umzusetzen. Vermehrte Online-Angebote, Homeoffice und Online-Konferenzen werden auch nach der COVID-19-Krise unsere Arbeitswelt prägen.
Nun tauchen wir langsam wieder aus der Corona-Krise auf und stellen die Weichen für die Wirtschaft von morgen. Die Art und Weise wie wir das tun, wird angesichts der aktuellen ökologischen und sozialen Herausforderungen für unsere Zukunft als Menschheit entscheidend sein.
Dass an unserem Planeten Raubbau betrieben wird, wissen wir spätestens seit 1972 als der Club of Rome seinen Bericht „Grenzen des Wachstums“ zur Lage der Menschheit veröffentlichte. Die lange Phase der Leugnung und des Wegdiskutierens liegt inzwischen hinter uns und es ist klar, dass es eine Energiewende, eine Mobilitätswende und eine Agrarwende geben wird müssen. Durch Corona gewinnt insbesondere die Agrarwende an Brisanz: Gesunde Nutztierhaltung, Ökosystemschutz und -integrität sind wichtige Aspekte zur Ursachenbekämpfung für virale Epidemien (Vermeidung von Zoonosen).
„Viren sind nicht lebendig, weil sie keinen Stoffwechsel haben. Ein Virus benötigt eine lebende Wirtszelle, um neue Viruspartikel zu produzieren.” (Fritjof Capra)
Wir müssen also den Gesamtkontext betrachten, wenn wir weitere Pandemien vermeiden wollen.
Flatten the Curve
Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen und einen radikalen Kurswechsel auf den Weg zu bringen. Die Rückkehr zum Business as usual ist keine Option. Flatten the curve kann weiterhin unser Motto bleiben. Zur Bekämpfung der Klimakrise muss der CO2-Ausstoß und generell der globale Ressourcenverbrauch reduziert werden. Außerdem sollten wir durch achtsamen Umgang mit den Ökosystemen dieser Welt an den Ursachen solcher Pandemien ansetzen und deren Entstehung von vornherein bekämpfen.
Was bedeutet das nun für Unternehmen, die sich diesen Herausforderungen stellen und Mitverantwortung für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft übernehmen wollen?
Lebendige Organisationen als Eco-System
Die klassischen Managementansätze des 20. Jahrhunderts zielen auf effiziente Abläufe, die präzise gesteuert und kontrolliert werden können. Das Maß aller Dinge ist der Shareholder Value. Dieses Bild einer Organisation als Maschine, in der Menschen als Rädchen im Getriebe behandelt werden und angehalten werden, den Unternehmensgewinn zu maximieren, hat angesichts der aktuellen globalen Probleme ausgedient.
Im Informationszeitalter mit immer komplexeren Herausforderungen werden neue menschenfreundliche Führungsmodelle notwendig, die mit sich ständig ändernden Rahmenbedingungen und nichtlinearen Zusammenhängen umgehen können. Es braucht lebendige Organisationen, die organisch in ihre Umwelt eingebunden sind und global verantwortlich agieren.
Das INU-Modell für Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung[1] (Schallhart 2011) zeigt diesen Schritt als Paradigmenwechsel hin zu einem netzwerkenden (grünen) und weiter generativen (gelben) Unternehmen.
Abb. 1: Notwendiger Paradigmenwechsel nach dem INU-Modell für Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung, Tipping Point Verantwortung (Quelle: Schallhart 2020)
Unternehmen sind derzeit noch großteils als strategische, gewinnorientierte Unternehmen im orangen Bereich beheimatet. Sie erachten zwar den Sprung in die verantwortungsvolle grüne Welt als anstrebenswert, dennoch ist ihnen mit Ausnahme kleiner eigentümergeführter Unternehmen nicht klar, welche Konsequenzen das nach sich zieht. In großen Konzernen fällt Realität und Wunschbild gravierend auseinander (SustainCo 2017).
Netzwerkende Unternehmen sind hierarchiearm und die Ausrichtung der Zusammenarbeit erfolgt werte- und sinnorientiert, sodass Selbstorganisation möglich wird. Im Vergleich zu strategischen Unternehmen ändert sich die Machtverteilung: das heißt vor allem Führen bei gleichzeitiger Abgabe von exklusiver Entscheidungsmacht und Verantwortungsverteilung.
Lesen Sie im Folgenden wie sich Unternehmen und insbesondere Unternehmensführungen fit für diesen Paradigmenwechsel machen können.
Tipping Point Verantwortungsethik
Verantwortungsvolles Führen kann nur gelingen, wenn Verantwortung für sich selbst, für das Miteinander in der Organisation und für die Auswirkungen des Unternehmens auf die Gesellschaft und unseren Planten zusammenkommen. Es geht darum, Stellung zu beziehen und verantwortlich einzutreten für eine bessere Welt.
Mit der Übernahme von Verantwortung im Unternehmen ist aber nicht gemeint, in einem Gewaltakt das Runder herumzureißen und Veränderungen von oben durchzuboxen, weil nur so der Gewinn oder der Shareholder Value (das Aktionärsvermögen) nicht leidet. Es geht nicht um ein Handeln, das die Automatik des Marktes gerade verlangt. Nach Max Weber entspräche solches Handeln einer puren Gesinnungsethik[2]. Damit würde die Verantwortung ausgelagert an die Marktmechanik.
Haltung zeigen und nach eigenen Werten handeln
Ganz im Gegenteil: Wie wir am Beispiel Upstalsboom sehen werden, geht es darum, als Unternehmensleiter seinen persönlichen Daseinszweck zu erkennen und diesen in das Zentrum des eigenen Handelns zu stellen. Daran werden dann die eigenen Entscheidungen und die Entscheidungen für das Unternehmen ausgerichtet. Das bedeutet ein verantwortungsethisches Vorgehen[3], das bereit ist, für die Folgen des eigenen Handelns vollumfänglich geradezustehen.
Verantwortungsethik erfordert, sich mit vielen Dingen auseinander zu setzen. Das kann auch unangenehm und anstrengend sein. Im Grunde ist das Ziel, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und sich nicht „vor einen Karren spannen zu lassen“. Es geht um authentisches Mitgestalten im Unternehmen, in der Gemeinde, im gestaltbaren Umfeld.
Verantwortungsethik ermöglicht authentisches Führen.
Verantwortung in der Führung ist also immer individuell wahrzunehmen, sie kann nicht an den Konzern, die Community, das System des Marktes oder die Unkenntnis der klimapolitischen Zusammenhänge abgeschoben werden. Es geht nicht darum, einer Gesinnung „hinterher zu laufen“, sondern Bewusstseinsarbeit zu machen und die eigenen Werte zu reflektieren und dann für diese Werte einzustehen, indem diese auch im Unternehmen vertreten werden – auch wenn das unbequem ist. Es ist ein ständiger Balanceakt, den eigenen Handlungsraum so gut wie möglich zu gestalten und zu verantworten.
Transfer ins Unternehmen
So können Paradigmenwechsel in Organisationen angestoßen und das Netz des Lebens weitergewebt werden. Um Missverständnisse zu vermeiden: Damit ist nicht der alles überblickende Held gemeint. Gefordert wird eine authentische Führungsperson, die sich dem Kollektiv zur Verfügung stellt und daran arbeitet, dass das Wissen und die Potenziale aller Mitarbeitenden einfließen können.
Verantwortungsethische Haltung wird zum Tipping Point für eine neue Unternehmenskultur
Über solche Führungspersonen kann Verantwortungsethik zum Tipping Point, zum Auslöser, für eine neue Unternehmenskultur werden. Im Austausch mit den anderen Menschen in der Organisation, können sich organisationale Werte herauskristallisieren, die wie die DNA in einem biologischen System weitergegeben und über Rückkopplungsschleifen weiterentwickelt werden (Capra 2002). Unternehmenswerte und die lebendige Kommunikation darüber werden damit zum Gerüst für die organisationale Identität und Selbstentwicklungsfähigkeit der einzelnen Organisationseinheiten und des Unternehmens selbst.
Wirkfaktoren für Paradigmenwechsel in der Führung
Wie Unternehmensleitung und Führungskräfte unterstützt werden, diesen Paradigmenwechsel auch in ihrem Unternehmen zu manifestieren, wird im Folgenden mithilfe von sieben Wirkfaktoren aufgezeigt:
Aspekt Verantwortung als Person
- Bewusstseinsentwicklung
Aspekt Verantwortung für das Unternehmen
- Sinnorientierung
- Mitverantwortung und Beteiligung
- Transparenz und klare Kommunikation
- Selbstlernkompetenz
- Vertrauen und Kompetenz statt Hierarchie
Aspekt Verantwortung für das Ganze
- Wahrnehmen von gesellschaftlicher und planetarer Verantwortung
Anhand des Beispiels Upstalsboom wird auf persönliche und kulturelle Aspekte eingegangen. Über das Instrument der Soziokratie wird erläutert, wie der Paradigmenwechsel von orange auf grün durch methodische Interventionen unterstützt werden kann.
Upstalsboom als Beispiel für kulturellen Wandel
Upstalsboom ist ein Familienunternehmen, das Hotels und Ferienwohnanlagen an der Nord- und Ostsee betreibt. Bodo Janssen übernahm als 33-Jähriger völlig unerwartet die Führung des Unternehmens, nachdem sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.
Upstalsboom ist der Schwenk von einem traditionell geführten Tourismusbetrieb hin zu einem kollaborativ geführten Unternehmen in beeindruckender Art und Weise gelungen. Selbst mit den Covid19-Herausforderungen findet Upstalsboom durch seine menschenfreundliche Unternehmenskultur einen beispielhaft konstruktiven Umgang.
Soziokratie als Wandelinstrument
Soziokratie ist Kooperation auf Augenhöhe. Die Soziokratische KreisorganisationsMethode (SKM) nach Gerard Endenburg ist ein Organisationsmodell, das Beteiligung und Gleichberechtigung in der Beschlussfassung einfordert sowie strukturelle Sicherheit für dynamische Steuerung und organisationales Lernen gewährt.
Abb. 2: Basisfunktionen der Soziokratischen KreisorganisationsMethode (SKM) (Darstellung: Schallhart 2019)
In ihrer Essenz ist die Methode auf vier Basisfunktionen aufgebaut (Strauch & Reijmer 2018): der Kreis als selbstorganisierte semiautonome Organisationseinheit, der doppelten Verknüpfung von Kreisen über jeweils eine leitende und eine delegierte Person für klare top-down und bottom-up Kommunikation, dem KonsenTprinzip für holarchische Entscheidungsfindung und der offenen Wahl für kompetenzbasierte Rollenvergabe.
Bewusstseinsentwicklung
Eine Unternehmenstransformation hat immer mit der Unternehmensleitung und deren Haltung zu Führung und Verantwortung tun. Führung beginnt bei Selbstführung und Verantwortung als Person.
Im Fall von Upstalsboom war der konkrete Anlass zur Veränderung eine Mitarbeiterbefragung, die als Ergebnis zu Tage förderte, dass sich die Menschen im Unternehmen einen anderen Chef wünschten. Für Bodo Janssen war diese Erkenntnis wohl ein Schock. Nach einem Sprung ins kalte Wasser hatte er sich zunehmend wohler in seiner Führungsrolle gefühlt. Basierend auf Management-Literatur und Führungsseminaren leitete er das Unternehmen inzwischen nach allen Regeln des systemischen Qualitätsmanagements. Die wirtschaftlichen Zahlen waren gut. Die wachsende Unzufriedenheit der Mitarbeiterschaft hatte er nicht registriert. Die steigende Zahl der Kündigungen hatte er bis dato nicht sich selbst, sondern dem Fachkräftemangel zugeschrieben (WirtschaftsWoche 2020).
Innerer Wandel als Basis für Veränderung im Außen
Anlässlich dieser ernüchternden und schmerzhaften Ergebnisse ging Bodo Janssen innerhalb von eineinhalb Jahren regelmäßig in ein Benediktinerkloster, um von Pater Anselm Grün und dem „Team Benedikt“ neue Sichtweisen zu verstehen. Parallel erfolge eine Beschäftigung mit den Erkenntnissen der positiven Psychologie und Neurobiologie. Daraus entwickelte sich mit dem „Upstalsboom Weg“ eine neue Unternehmenskultur, in der dieser Paradigmenwechsel verankert wurde.
Das Upstalsboom-Beispiel zeigt: Transformation ist dann möglich, wenn dahinter ein echtes Wollen vonseiten der Führung steht. Das bedeutet, dass dem äußeren Wandel ein innerer Wandel vorausgeht. Transformative Leadership beginnt bei der Transformation von Glaubenssätzen der Unternehmensleitung.
Denn „Der Fisch fängt am Kopf zum Stinken an.“ – das gesteht auch Bodo Janssen ein (Janssen 2020). Anders ausgedrückt: die Haltung und das Verhalten der Unternehmensleitung stellt die Weichen für das Miteinander in einer Organisation. Eine Führungsperson, die sich selbst verändert hat, kann diesen Wandel auch in die Welt bringen. Eine Bewusstseinsentwicklung schafft die notwendige innere Basis.
Es geht dabei nicht darum, neue Führungsmethoden zu erlernen und ein besserer „Chef“ zu werden. Es geht um Mindset-Entwicklung, um das Auflösen von eigenen blinden Flecken, um die Entwicklung einer förderlichen Haltung von Fürsorge und Wertschätzung. Bevor ich Andere führe, übernehme ich Verantwortung für meine Selbstführung.
From Hero to Host
Neues Führen bedeutet eine Abkehr vom Vorgesetzten als Superhelden, der alles weiß und entscheidet. Führen heißt vielmehr Ermöglicher:in für Entwicklung zu werden. Die Führungsrolle ändert sich fundamental und stellt sich in den Dienst der zu Führenden, sie wechselt vom Hero zum Host. Das Ziel von Führung ist nicht mehr Anweisung und Kontrolle, sondern Anreiz zur Kreativität durch Sinnvermittlung.
Abb. 3: Führungsrolle from Hero to Host (Quelle: Schallhart, angelehnt an Margaret Wheatley & Deborah Frieze und Haim Omer)
Damit Mitarbeitende etwas ausprobieren und ein Risiko eingehen, brauchen sie die Gewissheit, dass ihnen das nicht schadet. Es bedarf einer Autorität, die nicht an der Position oder Kontrollmacht über andere klebt, die nicht mit Angst agiert und nach unten tritt. Diese vertikale funktionsgebundene Autorität ist ein blau-oranges Modell, das es zu überwinden gilt.
Neue Autorität
Das zeigt sich sehr schön im Ansatz der „Neuen Autorität“ von Haim Omer, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv (INA 2020). Er beschreibt als Alternative eine unterstützende personenbezogene Autorität auf Augenhöhe. Sie ist durch die Art und Weise der Beziehungsgestaltung entwicklungsfördernd und kann so für die geführten Menschen eine transformative Wirkung entfalten. Voraussetzung dafür ist persönliche Präsenz, die von einer guten Selbstverankerung genährt wird und nahbar macht.
Neue Autoritäten kümmern sich um gute Beziehungsqualität – auch bzw. gerade dann, wenn es einmal Schwierigkeiten miteinander gibt. Sie besitzen ausreichende Kontrolle über ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen und können so das unmittelbare Reiz-Reaktionsmuster unterbrechen. Gleichzeitig beziehen sie Position. Dies geschieht durch das transparent machen von eigenen Werten und Haltungen, mit denen die Führungsperson berechenbar wird und an denen die Handlungsweisen der Führungsperson gemessen werden können. Das bedeutet Deutlich- und Sichtbarmachen von Entschlossenheit und Verbundenheit zu Menschen und Zielen.
Vertrauen, das den Menschen entgegengebracht wird, und belastbare Beziehungen werden so Sicherheit gebende Pfeiler einer neuen entwicklungsfördernden Führung. Es wird ein Raum geschaffen, in dem Menschen mitdenken, kreativ sein können und zu initiativen Mitgestaltenden des Unternehmens werden.
Abb. 4: Paradigmenwechsel in der Führungsrolle anhand des INU-Models für Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung (Quelle: Schallhart 2020)
Verantwortungsvolles Führen beginnt bei der Verantwortung für sich selbst, beim Reflektieren des eigenen Menschenbilds und beim Einstehen für die eigenen Werte. Ermöglicher:innen beziehen Stellung und zeigen Haltung. Sie geben damit Orientierung und Sicherheit, ohne die Freiheit und Kreativität anderer einzuschränken. Reife, entwickelte Führungskräfte gehen voraus und scheuen sich nicht, an ihrem eigenen Bewusstsein zu arbeiten.
Soziokratie unterstützt Neue Autorität in der Führung
Führung ist in der Soziokratie eine dienende und unterstützende Rolle. Führung erfolgt auf Augenhöhe. Dadurch dass Grundsatz-Entscheidungen im KonsenT[4] (nicht im Konsens) gefasst werden, ist sichergestellt, dass Führungspersonen nicht einfach von oben regieren können.
Argumente für Entscheidungen offenlegen
Die soziokratische Beschlussfassung mithilfe des KonsenT gewährleistet, dass die Aussagen aller Team- bzw. Kreismitglieder gehört und berücksichtigt werden. Gemeinsam wird eine Lösung gesucht, bei der die Argumente und Einwände aller Beteiligten eingebunden werden. Alle werden um ihre Meinung gefragt und müssen Einwände begründen. Auch Führungskräfte müssen ihre Argumente für Entscheidungen offenlegen. Damit zeigen sie, was ihnen wirklich wichtig ist. Das macht sie verstehbar.
Soziokratische Leitungsrolle
Eine soziokratische Führungsperson setzt die eigene Meinung nicht auf Biegen und Brechen durch. Sie wiegt die eingebrachten Argumente ab und kann ihre Meinung ändern. Damit geht sie mit gutem Beispiel voran und zeigt, dass eine Meinungsänderung kein Zeichen der Schwäche ist.
Aufgabe der soziokratischen Leitung ist es, auch für schüchterne und unsichere Mitarbeitende einen sicheren und vertrauensvollen Raum bereitzustellen, damit diese Kreismitglieder angstfrei ihre ganz persönliche Entscheidung treffen können. Das bedingt, dass einer Führung auch – ohne unangenehme Konsequenzen fürchten zu müssen - widersprochen werden kann. Ja vielmehr, dass die Führungsperson klarstellt, dass sie auch korrigiert werden will.
Abb. 5: Soziokratische Instrumente für Neue Autoritäten (Quelle: INU-Modell, Schallhart 2020)
So schaffen soziokratische Führungspersonen mit dem Kreis einen sicheren Platz und bauen Vertrauen auf. Es entsteht ein Raum, in dem Menschen zuhören, mitdenken und wo sie sich ganz einbringen können.
Wandel im Unternehmen und globale Verantwortung
Teil 2 erscheint in der November-Ausgabe 2020 „Integrale Wirtschaftsmodelle“ der IP-Online-Zeitschrift und widmet sich dem Paradigmenwechsel im Unternehmen und der Integration von globaler Verantwortung in den organisationalen Kontext.
Sechs weitere Wirkfaktoren veranschaulichen anhand von Upstalsboom die kulturellen Aspekte. Anhand der Soziokratie wird gezeigt, wie der unternehmerische Wandel methodisch und strukturell unterstützt werden kann.
Endnoten
[1] Farbcode laut Spiral Dynamics
[2] Gesinnungsethik: Max Weber definierte die Gesinnungsethik dahingehend, dass „der Eigenwert des ethischen Handelns [...] zu seiner Rechtfertigung genügen soll. Handlungen werden daran beurteilt, ob sie mit vorgegebenen Werten eines Kollektivs übereinstimmen.
[3] Verantwortungsethik: Bei Entscheidungen zwischen Handlungsalternativen oder bei der normativen Beurteilung von Handlungen wird die Verantwortung für die tatsächlichen Ergebnisse in den Vordergrund gestellt. Es wird eine freiwillige Verpflichtung eingegangen, für mögliche Folgen einzustehen.
[4] Ein Beschluss wird dann gefasst, wenn es gegen einen Vorschlag keinen schwerwiegenden und im Sinne des gemeinsamen Ziels begründeten Einwand gibt.
Quellen
- Capra, Fritjof (2002): Verborgene Zusammenhänge. Vernetzt denken und handeln – in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, Bern, München, Wien: Scherz Verlag.
- INA (2020): Institut für Neue Autorität, www.neueautoritaet.at
- Janssen, Bodo (2020): „Unsere Kultur rettet uns den Arsch“, Interview mit newmanagement.haufe.de, https://newmanagement.haufe.de/strategie/upstalsboom-ceo-bodo-janssen-ueber-tourismus-und-corona
- Schallhart, Annemarie (2011): Integrale nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensentwicklung, Norderstedt: www.grin.com
- Strauch, Barbara & Reijmer, Annewiek (2018): SOZIOKRATIE. Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen. München: Vahlen-Verlag.
- SustainCo (2017): Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen. Lüneburg: www.sustainco.net/studie-nachhaltige-und-demokratische-unternehmen
- WirtschaftsWoche (2020): Plötzlich Chef – was nun?, www.wiwo.de/erfolg/management/unternehmensfuehrung-ploetzlich-chef-was-nun/25541884.html
Autorin
Annemarie Schallhart
Mag.a, MBA Sustainability Management, Zertifizierte Soziokratie Expertin (CSE)
Integrale Unternehmensberaterin, Transformationsbegleiterin, CSR-Expertin und Coach. Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und Sustainability Management an der Leuphana Universität Lüneburg. Nach langjähriger Erfahrung als Technikerin sowie Managerin in einem internationalen Großkonzern startete sie 2009 als Wegbereiterin für evolutionäre Arbeitswelten neu durch. Sie ist Begründerin des INU-Modells für Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung und kombiniert in ihren Beratungsprojekten, Workshops und Studien integrale Werte- und Kulturanalysen mit soziokratischen Methoden.
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