Vorwort des Übersetzers und Herausgebers
„Pflege der Seele – Heilung der Erde“ – so lautet der Titel dieses Buches, und was es mit diesem Titel für eine Bewandtnis hat, möchte ich in diesem Vorwort kurz darlegen. Wie der Titel suggeriert, soll eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Wohlergehen der menschlichen Seele – in diesem Buch allgemein als Psyche verstanden – und der Gesundheit unserer Welt bestehen. Um diese Verbindung klarer zu machen, möchte ich vorgängig zwei Fragen aufwerfen, deren Beantwortung die Interdependenz von Seele und Natur aufzeigen soll.
Kann der Mensch ohne die Natur sein?
Nein, denn er ist ja selbst Natur, und wenn er die Natur zerstört, zerstört er auch sich selbst. Selbstverständlich könnte er sich eine künstliche Umwelt schaffen, sogar mit künstlichem Essen, künstlicher Atemluft, künstlichen Vitaminen, Organen und Robotern, die ihm eine Art Beziehung vorgaukeln. Tief in sich selbst wird er aber immer seine Beunruhigung verspüren, dass die von ihm geschaffene, künstliche Welt seiner Kontrolle entgleiten könnte. Infolgedessen wird er versessen sein, Kontrolle auszuüben, bei der alles geregelt und zu optimiert wird. In steter Alarmbereitschaft wird er an seinem künstlichen Regelwerk herumschrauben, weil er die Übersicht über die Folgen seines Handelns zunehmend verliert. Das klingt nach Science-Fiction, ist es aber nicht. Wir sind auf allerbestem Wege, uns eine Umwelt zu schaffen, die künstlich und kontrolliert ist. Und wir entfremden uns immer mehr von der Natur und fühlen uns dadurch wie in einem Blindflug, den Bordinstrumenten unserer Zivilisation ohnmächtig ausgeliefert.
Kann die Natur ohne den Menschen sein?
Selbstverständlich werden einige finden. Dem ist aber nicht so. Gewiss schadet der Mensch der Natur und auch seinen Mitmenschen ungemein in seinem hoch technisierten, abgespaltenen Dasein, und da liegt auch der Gedanke nahe, dass die Welt ohne ihn wohl besser dran wäre. Sie braucht ihn aber, denn sie ist genau diejenige geworden mit ihm. Ihr Gleichgewicht hängt entscheidend von ihm ab, im Schlechten wie auch im Guten. Wir sind Teil eines umfassenden Lebensnetzes, in dem alles voneinander abhängt, wie uns nur schon das Beispiel der Bienen eindrucksvoll aufzeigt, ohne die eine Blüte – zumindest auf natürlichem Wege – keine Früchte tragen kann. Aus diesem Grund braucht die Welt den Menschen mehr denn je. Schon immer hat er zu ihrem Gleichgewicht beigetragen, bis es seinetwegen – mit beginnender Sesshaftigkeit und dann, zunehmend rasanter, mit der Industrialisierung – verloren ging. Deshalb schreiben einige Autoren, dass die Erde leidet und weint.
Ihr Weinen hören wir in uns, und wir sind angehalten, es anzuhören. Sie weint in und durch uns, ergänzt Michel Maxime Egger und stellt im Buch eine Bewegung vor, die während der Neunzigerjahre in den Vereinigten Staaten aufkam und sich im angelsächsischen Raum stetig weiterentwickelte: die Ökopsychologie. Diese stellte fest, dass die psychotherapeutischen Praxen voller weinender Menschen sind, die nicht mehr weiterwissen, sich in ihrem Dasein verlassen fühlen und den Bezug zum eigentlichen Leben – zum Mitmensch und zur Natur – verloren haben. Unsere Zivilisationskrankheiten wie Krebs oder Herzversagen füllen die Spitäler, und die Ausbeutung von Welt und Mensch gleicht einem Rüstungswettlauf, der eines klar aufzeigt: „So kann es nicht mehr weitergehen.“
Denn die Welt geht zugrunde und damit auch der Mensch. Der Mensch geht zugrunde und damit auch die Welt. Maßnahmen wie die Elektrifizierung des Autoverkehrs zur Kultivierung unseres Mobilitätswahns bringen keine Verbesserung. Die tiefen Wunden, die derzeit durch den Abbau seltener Erden – zur Produktion von Batterien – verursacht werden, und die hochgiftigen Abfallprodukte, die daraus entstehen und ganze Landstriche zu Todeszonen werden lassen, können nicht die Lösung sein. Nein, dazu braucht es eine grundlegende Änderung, einen Mentalitätswechsel, der wirklich etwas bewirkt. Es ist ein Schritt, der allein aus einem Gefühl tiefer Verbundenheit mit dem Ökosystem erfolgen kann – ein Schritt, der den abendländischen Menschen seinem vermeintlich tröstlichen Konsum- und Mobilitätsrausch entreißt und ihn wieder der Natur zurückgibt.
Damit befasst sich die Ökopsychologie. Sie beschäftigt sich mit diesem Paradigmenwechsel, der aus tiefer Verbundenheit mit der Welt erfolgt und aus dem Tal der Tränen in ein sinnerfüllteres oder zumindest authentischeres Dasein führt. In diesem Buch fasst Michel Maxime Egger die Geschichte und die verschiedenen Strömungen der Ökopsychologie zusammen. Bedeutende Geistesgrößen kommen dabei zu Wort wie C. G. Jung, Paul Shepard, Theodore Roszak oder Joanna Macy. Sie und viele andere mehr haben über den Zustand unserer Seele, die auch zur Seele der Welt gehört, nachgedacht und Heilswege entworfen, wie der Mensch sich mit dem Lebensnetz neu verbinden kann.
Michel Maxime Egger hat mit seinem Überblick großartige Arbeit geleistet. Ihm danke ich herzlich, dass er mir das Vertrauen geschenkt hat, sein Werk zu übersetzen. Ich hoffe, dass die Leserschaft etwas Ähnliches erleben wird wie ich: Das Buch hat mich daran erinnert, dass wir nicht alleine sind auf dieser Welt, dass unser Wohlbefinden dasjenige der Welt selbst ist und dass wir dadurch gehörig herausgefordert sind, die Kluft zwischen uns und der Welt zu überwinden. Nur so können wir unsere Seelen pflegen und dadurch auch die Welt heilen!
Kiental, 7. April 2019
Marc Schmuziger
Übersetzer und Herausgeber
Einleitung (Auszug)
Für eine Partnerschaft von Ökologie und Psychologie
Man kann das Problem wenden oder relativieren, wie man will – wir müssen der Tatsache ins Auge schauen: Unser Planet ist krank. Das Leben auf der Erde ist koyaanisqatsi, so nennen es die Hopi-Indianer in ihrer Sprache. Das Wort bedeutet, dass das Leben „verrückt“ und „unausgewogen“ geworden ist. Klimaerwärmung, Störung des Wasser- und Stickstoffkreislaufes, Rückgang der Biodiversität oder Verknappung natürlicher Ressourcen – die von den führenden Fachexperten erstellte Schadensliste ist lang. Und die Folgen werden zunehmend spürbar: Naturkatastrophen, Waldsterben, Wasserknappheit, Einbußen bei der landwirtschaftlichen Produktion, Migrationsströme, Gefährdung der Gesundheit und des Wohlergehens von uns Menschen … Besonders betroffen sind die bereits benachteiligten Völker der südlichen Hemisphäre, die am wenigsten zur Entstehung der Probleme beigetragen haben. Und ebenso bedroht sind die kommenden Generationen.
Die Menschheit am Scheideweg
Für Ralph Metzner, Psychotherapeut und ehemaliger Dekan des California Institute of Integral Studies (San Francisco), „stellt die gegenwärtige globale ökologische Krise einen der kritischsten Wendepunkte der menschlichen Zivilisation dar“. Gewiss, es ist nicht das erste Mal, dass unser Planet einen Klimawandel und einen massiven Artenschwund erlebt. Es ist aber das erste Mal, dass die Umweltzerstörung überwiegend auf menschliches Wirken zurückzuführen ist:
Auch wenn wir uns nicht bewusst sind, wie sehr wir zur Verschmutzung und zum unangemessenen Rohstoffverbrauch beitragen, ist jeder von uns an der Schädigung unseres Ökosystems und unseres eigenen Lebensraumes beteiligt. Da wir selbst aus Rohstoffen bestehen, erleiden auch wir Schaden. […] Kurzum, die Situation kann als Ökozid bezeichnet werden. Die Menschheit befindet sich im Krieg mit der Natur.
Ein großer Teil der ökologischen Probleme ist auf die Maßlosigkeit eines sich globalisierenden Wirtschaftssystems zurückzuführen – gewinn- und konsumorientiert sowie technikgläubig. Die Reduktion der Natur auf ein Objekt und die Illusion eines unbeschränkten materiellen und energetischen Wachstums haben zur Folge, dass das allgegenwärtige, auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsmodell die Grenzen wie auch die Regenerationsfähigkeit von Biosphäre und Mensch übersteigt. Einer wachsenden Anzahl von Autoren zufolge sind wir seit der Erfindung der Dampfmaschine Ende des 18. Jahrhunderts ins Anthropozän eingetreten – eine neue, instabile geologische Ära, die vom Einfluss menschlichen Tuns auf die Evolution der Erde bestimmt ist. Im Endeffekt erhöht sich dadurch die Gefahr für einen Zusammenbruch sowohl der Ökosysteme als auch der menschlichen Gesellschaft.
Folglich ist die ökologische Krise nicht mehr als „Krise“ im gewohnten Sinne einer zu bewältigenden Herausforderung zu verstehen, sondern als Ausdruck eines systemischen Umbruchs – sowohl politisch, sozial wie auch ökonomisch, um hier nur ein paar Aspekte zu nennen. Und die Deutlichkeit dieses Umbruchs stellt uns, wie die Psychotherapeutin Hilary Prentice betont, vor enorme Herausforderungen: Wir müssen die Grundprinzipien unseres Daseins und unseres Verhaltens als Individuen und als Spezies in Frage stellen:
Es kann sein, dass der herausforderndste Aspekt in dieser globalen Umbruchphase – durchzogen von Depressionen und Chancen, von Verzweiflung und Hoffnung – darin besteht, uns mit Entschiedenheit tiefen Fragen zu stellen, was uns als Menschen eigentlich ausmacht. […]
Informationen zu Autor
Der Soziotheologe, Ökologe und ehemalige Journalist Michel Maxime Egger arbeitet als Leiter des Instituts „Fondations écologiques" bei der Schweizer Nichtregierungsorganisation „Brot für alle". Er ist Gründer und Leiter des Netzwerks www.trilogies.org, welches spirituelle Traditionen mit den großen Themen unserer Zeit in Beziehung setzt. Als Autor hat er die Bücher La Terre comme soi-même – Repères pour une écospiritualité (Labor et Fides, 2012), Soigner l'esprit, guérir Ja Terre – Introduction it l'écopsychologie (Labor et Fides, 2015), Ecopsychologie – retrouver notre lien avec Ja Terre (Jouvence, 2017) und Ecospiritualité – Réenchanter notre relation à la nature (Jouvence, 2018) geschrieben. Erst kürzlich hat er an den Werken Le Bouddha est-il vert? (Labor et Fides, 2017) und Les transitions ecologiques (Jouvence, 2018) mitgewirkt.
Michel Maxime Egger
Pflege der Seele – Heilung der Erde. Einführung in die Ökopsychologie
Übersetzer aus dem Französischen und Herausgeber: Marc Schmuziger
ca. 280 Seiten, Klappenbroschur
taotime verlag
ISBN: 978-3-906945-08-8
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